Meinung

Von der Leyens nächstes Fettnäpfchen in Kroatien

Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bereits vor ihrem offiziellen Beginn im neuen Amt ins nächste Fettnäpfchen gesetzt. Beim Besuch in Kroatien bezeichnete sie das Land als "wahre europäische Erfolgsgeschichte". Die Realität ist aber eine ganz andere.
Von der Leyens nächstes Fettnäpfchen in KroatienQuelle: AFP

von Zlatko Percinic

Auf Twitter und bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Andrej Plenković lobte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin und nun designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Entwicklung Kroatiens. Als eines der jüngsten EU-Mitglieder habe das kleine südosteuropäische Balkanland eine "wahre europäische Erfolgsgeschichte" vorzuweisen.

Welchen Erfolg sie damit gemeint hatte, ließ von der Leyen allerdings offen. In der FAZ (30. Juli) scheint die Definition des vermeintlichen Erfolgs darin zu liegen, dass die EU mit Zagreb "im Gegensatz zu Ungarn, Polen und Rumänien kaum Ärger" habe und Kroatien "verhaltensunauffällig" sei. In der Tat gibt es eine ausgezeichnete bilaterale Beziehung zwischen Berlin und Zagreb. Angela Merkels einziger Auslandsbesuch im Wahlkampf vor der EU-Parlamentswahl war hier, als sie zusammen mit und für Manfred Weber (CSU) als Kommissionspräsidenten warb. Doch statt Weber wird es nun eine andere Deutsche, und dafür kann man sich schon mal persönlich bedanken. Immerhin war Plenković kurz als Kandidat für den Posten als EU-Kommissionspräsident im Gespräch.

Doch wie sieht die kroatische Erfolgsgeschichte tatsächlich aus, von der Ursula von der Leyen sprach?

Dr. Thomas Sichla, Vorsitzender der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer und Geschäftsführer der Zagreber Abwasserbetriebe sowie Direktor von RWE in Ljubljana/Slowenien, teilt diese Euphorie der ehemaligen deutschen Ministerin keineswegs. Laut einer Umfrage unter den 150 deutschen Mitgliedsunternehmen, die in Kroatien investiert haben, würden heute nur noch 54 Prozent diesen Schritt wiederholen. Das bedeutet, dass fast jedes zweite Unternehmen "Auf Wiedersehen" sagen würde, meint Sichla.

Dieser schlechte Wert hat zum einen damit zu tun, dass "sich nichts Wichtiges verändert", zum anderen aber auch damit, dass die Zufriedenheitsrate der Unternehmer in Kroatien bei 3,55 liegt (1: sehr zufrieden, 5: sehr unzufrieden). Rund 70 Prozent der befragten Unternehmen bescheinigen der kroatischen Regierung eine schlechte Note in ihrem Bemühen, ein besseres Investitionsklima zu schaffen. Dennoch gilt Kroatien in Osteuropa weiterhin als "relativ attraktiv", und Unternehmen wie Siemens möchten keine Marktanteile an ihre Konkurrenten aus China verlieren, weshalb sie auch weiter investieren werden, wie Medeja Lončar, die Siemens-Geschäftsführerin in Kroatien und Slowenien, sagt.

Ein weiteres Problem ist die massive Abwanderung der Arbeitskräfte. Allein in Deutschland lebten Ende 2018 fast 400.000 (395.665) kroatische Staatsangehörige, fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Davon sind nur schon zwischen 2016 und 2018 etwas über 63.000 Menschen gekommen. Statistisch haben so über zwei Jahre lang jeden Tag mindestens 86 Personen ihr Heimatland verlassen, um in Deutschland ein besseres Leben zu finden.

Diese Entwicklung sorgt für massive Engpässe auf dem kroatischen Arbeitsmarkt. Kleinere Unternehmen müssen schließen, weil sie keine Arbeitskräfte finden, um ihre Aufträge zu erledigen. Der so wichtige Tourismusbereich leidet unter dem Personalmangel, dazu gesellt sich dort noch das Problem, dass von den Kellnerinnen und Kellnern meistens die Beherrschung von mindestens zwei Fremdsprachen verlangt wird. In Istrien sind es sogar mindestens drei: Deutsch, Englisch und Italienisch.

Um die Folgen der Massenabwanderung abzufedern, haben kroatische – und ausländische – Unternehmen ihre Suche auch auf Asien ausgedehnt, nachdem auch der bisher bevorzugte Arbeitsmarkt Bosnien- und Herzegowina leergesaugt ist. Während gleichzeitig im kroatischen Radio immer wieder Werbung von Arbeitsvermittlern geschaltet wird, die händeringend nach Pflegepersonal, Ärzten und LKW-Fahrern für Deutschland suchen, inklusive Übernahme der Übersiedlungskosten.

Weiteres Ungemach droht vom wichtigsten Pfeiler der kroatischen Wirtschaft: dem Tourismus.

Der Anteil des Tourismussektors am BIP beträgt 24 Prozent, oder wie man gerne in Kroatien zu sagen pflegt, jede vierte Kuna wird mit und durch den Tourismus verdient! Doch die vermeintlich fetten Jahre scheinen vorbei zu sein. Die ersten beiden Monate der Saison, Mai und Juni, mussten einen satten Rückgang verbuchen. In der Spitze der Saison erwarte man einen Rückgang von bis zu 20 Prozent der Reservierungszahlen gegenüber dem Vorjahr, was insbesondere die privaten Apartmentvermieter treffen wird. Sie stellten Ende 2017 mit 47 Prozent fast die Hälfte des Gesamtangebots an Übernachtungsmöglichkeiten in Kroatien zur Verfügung. Der Grund für diesen Rückgang sind die mittlerweile hohen Preise bei Übernachtungen, Verpflegung (Restaurant und Selbstversorgung) und Getränken.

Die Preise sind sogar so hoch, dass sich nur noch die wenigsten Inlandkroaten einen Urlaub an der eigenen Küste leisten können, aber auch bei der wichtigsten Zielgruppe der Privatvermietungen von Apartments, den Deutschen, verzeichnet das Tourismusministerium einen Rückgang. Sollte das zu einem Trend der nächsten Jahre werden, wird es Tausende Immobilienbesitzer in den finanziellen Ruin treiben, die mit Krediten Apartments gekauft oder gebaut haben und sich durch Vermietungen in der Feriensaison ein Einkommen erhofft haben.

Sollte auch dieser Markt einbrechen, wird es eine weitere große Abwanderungswelle aus Kroatien geben und das Schreckensszenario des Bevölkerungswissenschaftlers Tado Jurić beschleunigen: "Wenn diese Trends andauern, droht dieses Land Kroatien zu verschwinden."

Angesichts dieser Entwicklung erscheint die Lobeshymne der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wie ein schlechter Witz, Kroatien als "wahre europäische Erfolgsgeschichte" zu bezeichnen. Ähnlich ihrer Aussage Anfang Juni, als sie noch amtierende Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland war und meinte, dass die Welt uns um unsere Regierung beneide.

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