Meinung

"Marshallplan" für die Ukraine: Anhäufung leerer Versprechungen und ungedeckter Schecks

Der sogenannte Marshallplan für die Ukraine ist schon jetzt gescheitert. Es fehlt dazu an den grundlegenden Voraussetzungen. Was bleibt, ist der Wille der EU und Deutschlands, die Ukraine an sich zu binden, und die Bereitschaft, eine neue Ost-West-Konfrontation in Europa auszutragen.
"Marshallplan" für die Ukraine: Anhäufung leerer Versprechungen und ungedeckter SchecksQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christian Spicker

Von Gert Ewen Ungar

Gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten der Ukraine Denis Schmygal präsentierten die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin einen sogenannten Marshallplan für die Ukraine. Scholz greift den Begriff Marshallplan auf und verweist auf den Ökonomen John Maynard Keynes, der mit dem System von Bretton Woods die Bedingungen für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hat. Keynes hat ein über mehrere Jahrzehnte weitgehend krisenfrei funktionierendes System erschaffen, das den breiten Wohlstandszuwachs in den westlichen Kernländern nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte.

Damit allerdings fängt die Problematik auch schon an, denn nichts ist weiter entfernt vom Keynesianismus als die wirtschaftspolitische Programmatik der EU. Weder sind die Länder des kollektiven Westens durch ein System fester Wechselkurse aneinander gebunden, noch sind die Finanzmärkte stillgestellt, sodass ausschließlich Investitionen in die Realwirtschaft als Investment lohnend sind. Das, verbunden mit jährlichen Lohnzuwächsen, war das zentrale Geheimnis von Keynes. Diejenigen, die die Waren produzieren, müssen auch das Geld haben, sie zu kaufen und Börsenspekulation braucht man eigentlich nicht. Von diesen Erkenntnissen ist die EU himmelweit entfernt. Insbesondere die Euroländer befinden sich in einer Konkurrenzsituation untereinander, die zur Absenkung der Lohnniveaus und der sozialen Standards führt. 

Die EU hat sich völlig der freien Preisbildung an den Finanzmärkten verschrieben. Dass mit einer solchen Agenda der Wiederaufbau und die Akquise privater Geldgeber für Investitionen in die ukrainische Realwirtschaft gelingen soll, ist ein absoluter Trugschluss. Mit der EU und der ihr zugrunde liegenden ökonomischen Ideologie gibt es keine Wirtschaftswunder. Mit ihr gibt es lediglich Dauerkrise. Das ist die zentrale Lehre, die aus den Jahren nach 2008, nach der Finanzkrise gezogen werden muss.

Die Kommissionspräsidentin versichert in der Pressekonferenz zwar, sie habe viele Signale der Bereitschaft aus der Wirtschaft bekommen, in die Ukraine zu investieren. Sie wolle das schon allein deshalb tun, weil die Ukraine nicht untergehen dürfe. Die Kommissionspräsidentin versichert, die europäische Wirtschaft investiere aus Solidarität. Das ist für die Präsidentin eines Wirtschaftsbündnisses, das die EU im Kern ist, von erschreckender Naivität. Investitionen werden nicht aus Solidarität, sondern einzig aus Gewinninteresse getätigt. In einer auf Wachstum basierenden Wirtschaft wäre alles andere auch ökonomischer Selbstmord. Die Kommissionspräsidentin hat einfache ökonomische Zusammenhänge nicht verstanden.

Der Green New Deal der EU, dem Namen nach ebenfalls eine Anlehnung an Keynes, basiert im Kern übrigens auf derselben Idee. Investoren kaufen Anteile und Anleihen, die von der EU mit einem Umweltsiegel versehen wurden, weil es ... irgendwie cool ist. Auch der Green New Deal wird daher nicht funktionieren. Investoren geben ihr Geld nicht aus Solidarität, nicht aus Liebe zur Umwelt, nicht, weil es das Gewissen beruhigt, sondern ausschließlich in der Absicht, damit Geld zu verdienen. Alles andere ist Romantik. 

Diese wirtschaftspolitische Naivität der Kommissionspräsidentin zeigt sich auch in dem Vorhaben, die eingefrorenen russischen Devisen umzuwidmen und der Ukraine zum Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Scholz und von der Leyen betonen, es müsse ein rechtssicherer Rahmen dafür geschaffen werden – das sei schwierig. Es besteht kein Zweifel, dass die EU juristische Formulierungen finden wird, mit denen sie Russland vermeintlich rechtssicher enteignet. Damit wird die EU die eigene Währung, den Euro, weiter beschädigen. Egal, wie elaboriert die EU den faktischen Diebstahl russischen Vermögens einkleiden wird, kein Staat und kein Investor dieser Welt wird diese Währung künftig anfassen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, denn es gibt die Möglichkeit, dass die EU dieses Geld einfach konfisziert.

Scholz und von der Leyen machen den Euro zu einem ganz schlechten Investment. Ein Grund, warum der Marshallplan funktionierte, war, weil der Dollar eine stabile Leitwährung war. Außerdem sahen die USA zunächst davon ab, ihre Währung zu politisieren. Diese Voraussetzung hat von der Leyen für den Euro mit ihrer Aussage zerstört. 

Die Frage, ob die Ukraine die Gelder in Form von Krediten oder rückzahlungsfreien Zuwendungen erhalten soll, bleibt offen. All das soll später entschieden werden. Irgendwann, von irgendwelchen Experten. Klar ist nur, die Ukraine braucht Geld, und sie braucht es dringend, sie braucht viel, und sie braucht es dauerhaft. Die Konditionen sind jedoch völlig unklar. Wie kann man sich mit diesem Hauch von Nichts in der Hand vor die Presse stellen und einen generationenübergreifenden Marshallplan ankündigen? Es ist noch nicht einmal leicht angewärmte Luft, was Deutschland und die EU präsentieren. Es ist schlicht nur ein großes, durch nichts gedecktes Versprechen. Noch nicht einmal der geografische Raum ist konkret umrissen, für den das Geld ausgegeben werden soll. Scholz erzählt etwas von territorialer Integrität. Aber was das genau bedeutet, bleibt ebenso offen wie die Finanzierung des ganzen Vorhabens.

Klar ist nur, die EU will unter allen Umständen ihren Machtbereich ausweiten und die Ukraine auch um den Preis einer neuen Ost-West-Konfrontation in Europa an sich binden. Gespräche mit Russland soll es nicht geben, Waffenlieferungen an die Ukraine dagegen schon. 

Der als Marshallplan vorgestellte Aufbau-Plan für die Ukraine ist ein Zeichen der Schwäche und des schwindenden Einflusses der EU in Europa. Der Plan kann aus ganz simplen Gründen nicht funktionieren. Er wird allerdings die Fliehkräfte in der Union weiter zunehmen lassen.

Warum die Ukraine als Nichtmitglied der EU mehr Solidarität verdient als Griechenland während der Finanzkrise, wird mit Sicherheit zur Sprache kommen. Warum das Verbot eines Bail-outs plötzlich über Bord geworfen wird und die EU sogar die laufenden Ausgaben des Staatshaushalts der Ukraine finanzieren will, diese Frage wird sich auch den Mitgliedsstaaten stellen, die unter deutschem Austeritätsdiktat gelitten haben, die Hilfskredite nur unter Erfüllung strengster Sparauflagen überwiesen bekamen und unter externe Finanzaufsicht gestellt wurden. Ebenso wird sich die Frage jenen Ländern stellen, denen jetzt wegen angeblicher fehlender demokratischer Gesinnung die Mittel gekürzt werden. Für die Ukraine soll das alles nicht gelten? Wer haftet für das ganze Geld unbekannter Herkunft im Fall eines Zahlungsausfalls? Ebenso wird sich den Mitgliedsstaaten die Frage stellen, woher die Kommissionspräsidentin und der deutsche Bundeskanzler ihr Mandat eigentlich beziehen, eine derart weitreichende außenpolitische Entscheidung zu fällen, die nach Aussagen des Kanzlers die nächsten Generationen betrifft? Das Mandat wurde von niemandem erteilt. Der Schritt stellt erneut eine Machtausweitung der Kommission und einen deutschen Alleingang dar. Er wird daher innerhalb der EU kaum umzusetzen sein, sondern im Gegenteil die Fronten innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten weiter verhärten.

Der Marshallplan für die Ukraine gleicht einer Verzweiflungstat. Der EU schwimmen die Felle davon. Es ist der vermutlich letzte Versuch der EU und Deutschlands, Einfluss auf die Entwicklung in Europa zu nehmen. Der Versuch ist jetzt schon gescheitert, denn er ist ohne jede Substanz. 

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