Meinung

Russische Weltverschwörung statt klarer Analyse – Wo bleibt der Journalismus in der Tagesschau?

Baerbock sorgte mit der Aussage, die Sanktionen beibehalten zu wollen, egal was ihre Wähler denken, für einen Eklat. Die Tagesschau veröffentlicht dazu einen Faktenfinder, der russische Einflussnahme nachzuweisen versucht. Eine Analyse der Sanktionen unterbleibt.
Russische Weltverschwörung statt klarer Analyse – Wo bleibt der Journalismus in der Tagesschau?Quelle: www.globallookpress.com

Von Gert Ewen Ungar

Die Tagesschau verliert sich immer mehr in obskuren Verschwörungstheorien. Schon während der Corona-Krise war die Berichterstattung der Tagesschau einseitig und diffamierend. Sie war durchsetzt mit stigmatisierenden Begriffen wie "Corona-Leugner" und "Impfgegner", obwohl diese Aussagen auf den überwiegenden Teil der Maßnahmen-Kritiker überhaupt nicht zutrafen. Weder wurde von der Mehrheit die Existenz von Corona geleugnet noch gab es unter den Protestierenden eine pauschale Ablehnung von Impfungen. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie waren dagegen fragwürdig, wirkten vielfach hilflos und undurchdacht. Ihnen war oftmals der politische Kompromiss anzumerken, nicht aber die Eignung, die Auswirkungen der Pandemie zu minimieren. Im Gegenteil geht ein großer Teil des wirtschaftlichen Schadens auf verfehlte politische Entscheidungen zurück.

Verordnungen wie die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske deuteten zudem mehr in Richtung deutsche Korruption denn in Richtung sinnvolle Maßnahme. Deutschland ist vergleichsweise schlecht durch die Pandemie gekommen. In den deutschen Nachrichten wurde darüber kein Wort verloren, der Evaluationsbericht zu den Maßnahmen wurde unter den Teppich gekehrt. Die GEZ-Medien gefielen sich in der Rolle der Erfüllungsgehilfen für die Umsetzung der Regierungsmaßnahmen und beschimpften ihr Publikum, wenn es Kritik an den Einschränkungen äußerte.  

Diese Strategie wiederholt sich jetzt angesichts der Rückwirkungen der Sanktionen auf die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die Sanktionen sind wie schon die Maßnahmen zur COVID-19-Pandemie politisch gemacht und keine direkte Folge des Coronavirus oder des Kriegs in der Ukraine. Dennoch benutzte die Tagesschau genau dieses Framing. Noch vor einigen Wochen wurden steigende Energiepreise "Putins Krieg" zugeschrieben. Inzwischen hat sich das geändert. Aber auch jetzt verknüpft die Tagesschau die hohen Energiepreise nicht mit den Sanktionen. Dabei haben sie natürlich genau hier ihre Ursache. Es ist ein hausgemachtes Problem. 

Die redaktionelle Linie, die die Redaktion der Tagesschau offenbar verfolgt, ist, dass die Sanktionen nicht infrage gestellt werden dürfen. Um das Aufkommen des Themas zu verhindern, greift sie tief in die Trickkiste der strategischen Kommunikation. 

Zuletzt wartete die Tagesschau mit einem Faktenfinder auf, der belegen sollte, dass es sich bei Kritik an der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) vor allem um eines handelt: russische Einflussnahme. 

Baerbock nahm in der vergangenen Woche in Prag an einer Podiumsdiskussion teil. Dort sicherte sie der Ukraine ihre volle Unterstützung zu. Wörtlich sagte sie: "Aber wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: 'Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht', dann will ich halten. Egal, was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte den Menschen in der Ukraine etwas liefern."

Dieses Zitat sorgte in den sozialen Netzwerken für einen Eklat. Baerbock stelle die Ukraine über das Wohl der Deutschen, dabei sei sie durch ihr Amt nicht der Ukraine, sondern ausschließlich dem Wohl Deutschlands verpflichtet, war ein immer wieder vorgebrachtes Argument der Kritik.

Ein Faktenfinder der Tagesschau setzt sich mit den Vorwürfen und Abläufen auseinander. In ihm verweist die Autorin darauf, das Zitat Baerbocks sei verkürzt wiedergegeben. Allerdings wird es auch dann nicht besser, wenn man sich den Redebeitrag Baerbocks in Gänze anschaut.

Baerbock möchte zwar Deutschlands Bürger angesichts steigender Energiepreise entlasten, an den Sanktionen sei aber festzuhalten. Sie versichert der Ukraine mehrfach ihre Unterstützung, ihre persönliche wohlgemerkt: "as long as the Ukraine needs me". Der Eindruck bleibt: Baerbock fühlt sich der Ukraine stärker verpflichtet als Deutschland.

Was aber vor allem wichtig ist: Baerbock stellt das Sanktionsregime nicht infrage. Sie macht klar, sie wird das Sanktionsregime auch gegen zunehmenden Widerstand in Deutschland aufrechterhalten. Ob es aber Deutschland nicht mehr schadet als Russland, ist genau der zentrale Punkt, über den dringend diskutiert werden muss.

Mit seiner Spurensuche, ob die Auseinandersetzung über Baerbocks Äußerungen von russischen Akteuren angetrieben wurde, verschiebt der Faktenfinder die Auseinandersetzung auf einen Nebenschauplatz. Wer eine Diskussion initiiert, ist überhaupt nicht wichtig. Dass sie stattfinden kann und nicht unterdrückt wird, ist es. Die Tagesschau zielt aber auf eine Verhinderung der Diskussion über das Sanktionsregime ab. Was soll mit den Sanktionen erreicht werden und sind sie zielführend? Darüber muss diskutiert werden, das sind wichtige Fragen. Die Sanktionen sollen helfen den Krieg zu beenden, indem sie Russland von den Finanz- und Warenströmen abschneiden. Gleichzeitig soll durch einen sinkenden Lebensstandard in Russland eine gesellschaftliche Opposition erzeugt werden, die den Krieg ablehnt und so die Regierung zum Einlenken bewegt. Wenn möglich, soll über Unruhen und Protest die russische Regierung weggeputscht werden. Das ist die Antwort, welche die Bundesregierung und auch Außenministerin Baerbock bisher auf die Frage gegeben haben.

Nach sieben Sanktionspaketen lautet die Antwort, ob die Ziele erreicht worden sind, ganz schlicht: Nein. Nein, die Sanktionen werden den Krieg weder beenden noch ihn verkürzen. Während sich die Sanktionen in Deutschland dramatisch auswirken, sind ihre Auswirkungen in Russland kaum zu spüren. Reisen in die EU sind für Russen schwierig und teuer geworden, einige westliche Konzerne haben den russischen Markt verlassen. Einige sind wieder zurückgekehrt: Apple heißt jetzt re:Store und McDonald's Wkusno i totschka. Von Auswirkungen aber, wie sie auf Deutschland und die EU im Herbst und Winter zukommen, ist Russland weit entfernt. Die Sanktionen bewirken in Russland die ein oder andere Unannehmlichkeit. Sie haben jedoch keine existenzbedrohenden Auswirkungen wie in der EU und in Deutschland. Daher geht auch der Plan nicht auf, mittels der Sanktionen in der russischen Gesellschaft eine breite Opposition gegen den Krieg zu erzeugen, welche die Regierung zu einer Kehrtwende zwingen könnte.

Auch die Idee, mittels Sanktionen die Einnahmen Russlands zu senken, funktioniert in der Realität nicht. Im Gegenteil sind durch die steigenden Energiepreise Russlands Einnahmen gestiegen. Russland schwimmt im Geld. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bereits im Juli mitteilte, erzielte Russland im ersten Halbjahr einen Haushaltsüberschuss von 20 Milliarden Euro. Weiterhin konnte das Land bereits in den ersten sechs Monaten des Jahres zwei Drittel der für 2022 geplanten Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas realisieren. 

Ganz anders ist die Situation in Deutschland. Baerbock fürchtet völlig zurecht Volksaufstände. Wie die Webseite German Foreign Policy heute berichtet, ermittelte die britische, auf sozio-ökonomische Analysen spezialisierte Firma Verisk Maplecroft in einer Studie ein für Deutschland deutlich erhöhtes Risiko für Unruhen. Generell sei das Risiko von Unruhen durch die sozio-ökonomischen Verwerfungen weltweit deutlich gestiegen. 

Es müsste daher dringend darüber diskutiert werden, ob das Sanktionsregime seinem Zweck, auf eine Beendigung des Krieges hinzuwirken, tatsächlich dienlich ist. Das Ergebnis wäre schnell klar: Nein, die Sanktionen sind vollkommen ungeeignet, die mit ihnen verknüpften Ziele zu erreichen. 

Doch statt klarer und faktennaher Analyse lenkt die Tagesschau das Interesse auf vermeintliche russische Einfluss-Agenten und setzt ihren Lesern erneut eine veritable Verschwörungstheorie vor.

Dabei ist es nicht Aufgabe öffentlich-rechtlicher Medien, sich schützend vor eine Ministerin zu stellen, die Kritik ausgesetzt ist. Es wäre aber sehr wohl ihre Aufgabe, diese Kritik aufzunehmen und in einen gesellschaftlichen Diskurs zu transformieren. Die Kritik an der deutschen Außenministerin ist fundiert. Das Sanktionsregime ist gescheitert. Das Leid, das den Bürgern der Bundesrepublik bevorsteht, das breite Absinken des Lebensstandards in Deutschland, der Ruin der deutschen Wirtschaft und die damit verbundenen sozialen Verwerfungen werden am Kriegsverlauf nichts ändern. Es wird immer deutlicher: Möchte die Bundesrepublik das Schicksal Europas mitgestalten, wird sie sich an den Verhandlungstisch setzen müssen. 

Die Alternative dazu ist wenig attraktiv. Sollten die Ukraine und der Westen weiterhin keine Gesprächsbereitschaft zeigen, ist zu erwarten, dass Russland seine Offensive auf Odessa und darüber hinaus bis nach Transnistrien ausdehnt. Die Ukraine würde den Zugang zum Schwarzen Meer verlieren. Übrig bliebe ein kaum lebensfähiger Rumpfstaat, dem Deutschland und die EU zwar ihre volle Solidarität zusichern, zu der ihnen aber aufgrund einer selbstzerstörerischen Politik dauerhaft die Mittel fehlen. Es ist weiterhin klar, dass Russland neue Allianzen eingeht. Die EU und Deutschland haben ihre Bedeutung und ihren wirtschaftlichen Einfluss überschätzt. Es wäre an der Zeit für ein Umdenken, damit nicht noch größerer Schaden entsteht. Doch statt fundierter Information über die Auswirkungen der Sanktionen in Deutschland und Russland wartet die Tagesschau mit einer Verschwörungstheorie auf mit dem Ziel, die Außenministerin vor Kritik zu schützen. Man weiß nicht so genau, was das sein soll, was die Tagesschau hier präsentiert – Journalismus ist es nicht.

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