Meinung

Vom Westen gibt es Informationen, von Russland Propaganda? Wo findet die Jugend Orientierung

Es tobt ein Kampf um die Narrative. Nicht nur im Westen, auch in Russland. Eine junge, gut ausgebildete, urbane Schicht ist Ziel westlicher Einflussnahme. Die individuellen Folgen westlicher Desinformation sind oft ebenso lebenseinschneidend wie tragisch.
Vom Westen gibt es Informationen, von Russland Propaganda? Wo findet die Jugend Orientierung

Von Gert Ewen Ungar

Nicht erst seit dem 24. Februar 2022, sondern schon seit Jahren tobt ein Informationskrieg. Es sind dabei die westlichen Medien, die ihr Narrativ, die westliche Sicht auf die Dinge in den Status einer allgemein verbindlichen Wahrheit heben wollen. Unhinterfragt dabei ist: Wir sind der Westen, wir sind die Guten, hier herrscht Wohlstand, Demokratie und Freiheit. Diese westlichen Werte werden von Rechtspopulisten und Autokraten bedroht. Fakten, die dieses Bild stören, werden einfach unterschlagen, andere Sichtweisen oder Korrekturen dieser Selbstwahrnehmung als Einmischung und Propaganda abgetan. Insbesondere gegen Russland werden schwere Vorwürfe erhoben. Russland würde versuchen, die westliche Welt mit Propaganda zu überziehen. Russische Einflussnahme sei daher zu verhindern und zu verbieten. 

Auf der anderen Seite tobt auch in Russland ein Kampf um das Narrativ. Westliche Medien, Thinktanks und NGOs versuchen, in Russland das westliche Narrativ durchzusetzen und in den Köpfen zu verankern. Der Westen ist dabei durchaus erfolgreich. Er erreicht vor allem eine Schicht junger, gut ausgebildeter Großstädter, deren Lebensstil sich am westlichen Liberalismus orientiert. Sie sind besonders empfänglich für westliche Propaganda, da die dort postulierten Werte mit ihren eigenen korrellieren. Dass die westlichen Werte nirgendwo so im Niedergang begriffen sind wie im Westen selbst, können diese jungen Russen natürlich nicht wissen. 

Der US-amerikanische Staatssender Radio Svoboda, die Internetzeitung Meduza sowie der Fernsehsender TV Doschd, beide in Lettland ansässig, und mit ihnen zahlreiche andere vom Westen unterstützte Medien erreichen mit ihren Botschaften von der heilen westlichen Welt und den Verbrechen Russlands an ihr die entsprechende urbane Zielgruppe. Russische Information wird delegitimiert, die westliche mit dem Verweis auf vermeintlich neutrale NGOs und unabhängige Institutionen als Quellen als der bessere Journalismus vermarktet. Unterfüttert wird diese Form der Einflussnahme von Projekten und Programmen westlicher NGOs und Stiftungen, die ganz unverhohlen einen Regime-Change in Russland anstreben. 

Erst kürzlich veröffentlichte das Medienunternehmen Bloomberg, dass sich Deutschland und Frankreich in einem Non-Paper auf die weitere Beeinflussung dieser Schicht geeinigt haben. Junge, von der EU geförderte Blogger und Influencer sollen dabei unterstützt werden, einen Keil zwischen die russische Bevölkerung und Putin zu treiben, führt Bloomberg aus.  

Daher passiert es auch in Russland, dass man gesagt bekommt, alle Zeugnisse über ukrainische Kriegsverbrechen seien russische Propaganda. Die Dichte ist natürlich deutlich niedriger als in Deutschland, aber es gibt sie.

Zuletzt hat der US-amerikanische Staatssender Radio Svoboda gemeinsam mit dem Ex-Oligarchen Chodorkowski und dem Schachweltmeister und russischen Fundamentaloppositionellen Garri Kasparow junge Russen aufgerufen, ihre russischen Pässe zu verbrennen. Gespielt wird hier mit einem tiefen Schamgefühl dieser jungen Generation gegenüber ihrer Nationalität, das westliche Medien aufgreifen und nutzen. Es gibt bei jungen russischen Städtern nicht selten ein Schamgefühl gegenüber der eigenen Herkunft. 

Das ist nicht verwunderlich. Wer den westlichen Erzählungen glaubt, der möchte kein Russe sein. Der schämt sich für das, was sein Land der Ukraine antut, welche Verbrechen Russland dort begeht. Der schämt sich auch für seine Landsleute, die all der russischen Propaganda aufsitzen. Es schwingt in all dem auch immer ein gewisses Maß an Überheblichkeit mit. Mit dem Konsum westlicher Medien stellt sich auch ein Gefühl von Exklusivität ein. Man weiß es besser, verfügt über unabhängige, westliche Quellen. 

Ich kenne einige dieser jungen, russischen Liberalen, die nach Beginn des Krieges in der Ukraine nach Berlin gekommen sind, um dort ein neues Leben anzufangen. Sie haben gemeinsam, dass sie sich für ihre Herkunft schämen, mit Fleiß den Makel ihrer Herkunft abwaschen wollen. Sie sind hoch motiviert und voller Demut. Es hat etwas von Schulddienst, was diese junge Menschen antreibt. Es geht ihnen um nichts Geringeres als das Abtragen einer moralischen Schuld. Sie wollen die deutsche Wirtschaft unterstützen und helfen, Russland zu besiegen. Es sind in der Regeln sehr naive, durchweg neoliberale Ideen, welche in den Geschichten der Verklärung des Westens und der Selbsterniedrigung mitschwingen. 

Dabei erklingt in all dem auch eine tiefe Sehnsucht nach Anerkennung mit. Es gibt einen tiefen Glauben daran, dass im Westen zwischen den guten und den Putin-Russen unterschieden wird. In dem Beitrag von Radio Svodboda, der zur Verbrennung des eigenen russischen Passes auffordert, wird gleichzeitig mit einem Zertifikat geworben, das bescheinigen soll, dass es sich beim Inhaber um einen "guten Russen" handelt.  Das setzt ein hohes Maß an Differenzierungsfähigkeit in Deutschland und anderen Ländern der EU voraus, die es schlicht nicht gibt. Enttäuschung macht sich bei den jungen Migranten zudem schnell breit, wenn es um den Entwicklungsstand Deutschlands geht. Der Wohnungsmarkt ist dysfunktional, der Internetausbau und die Digitalisierung hinken um Jahre hinterher, der öffentliche Nahverkehr ist eine einzige Katastrophe. Das tatsächliche Deutschland ist für viele russische Migranten ernüchternd. Hinzu kommen Anforderungen an eine politisch korrekte Sprache, die es in dieser Form in Russland nicht gibt. Eine permanente Quelle für Fremdheitserfahrung in ihrer negativen Form. Die psychischen Belastungen, denen sich diese Gruppe aussetzt, sind enorm. Ihre Wünsche und Pläne sind in der Regel zum Scheitern verurteilt. 

Ein besonders berührendes Dokument über das Aufwachen nach der Konfrontation mit den harten Fakten im Donbass ist das Interview des aus den USA nach Russland emigrierten heute als Journalist arbeitenden John Mark Dugan mit Mascha. Mascha beschreibt, wie ihr das eigene Land und die eigenen Landsleute unangenehm, geradezu unerträglich geworden sind. Sie hielt sich für besser informiert.

Ich kenne derartige Beschreibungen. Mascha spricht von einer Art innerer Emigration. Sie meidet ihre Landsleute aufgrund von Informationen aus den westlichen Medien, die sie für glaubhafter hält als russische. Viele junge Migranten aus Russland kommen aus diesem Gefühl heraus nach Deutschland und in die EU. 

Dugan bat sie, ihn in den Donbass zu begleiten, um für ihn als Dolmetscherin zu arbeiten. Mascha erzählt von ihren Erlebnissen, die in völligem Kontrast zu ihren Erwartungen standen. Der Buchstabe Z ist für sie ein Symbol russischer Aggression. Man sieht ihn in Russland oft. Er ist auf Busse aufgemalt, es gibt T-Shirts, er ist für viele das Zeichen für kommende Gerechtigkeit. Für Mascha bedeutet er das Gegenteil. Sie reist in der Erwartung in den Donbass, dass sich dort die Berichte westlicher Medien als wahr erweisen. Russland hält seit 2014 den Donbass unter Beschuss, glaubt sie aufgrund der Berichterstattung westlicher Medien. Menschen werden von dort verschleppt und in Russland zur Arbeit gezwungen. Russland annektiert Teile der Ukraine gegen den Willen der Einwohner, ist sie sich sicher. Russland begeht dort schwerste Kriegsverbrechen, ist sie überzeugt. 

Umso erstaunter ist sie über die Allgegenwart des Buchstaben Z in den Donbasser Republiken – er ist bei weitem präsenter als in Russland. Sie berichtet von Gesprächen mit Bewohnern, die sie aufklären. Nein, es sind nicht die Russen, es ist nicht die russische Armee, die im Donbass grausame Verbrechen begeht, die foltert, brandschatzt und mordet. Es ist die Ukraine, die all dies tut, was man Russland vorwirft. 

Schließlich wird auch ihr Hotel von der ukrainischen Armee unter Beschuss genommen. Sie kann es nicht mehr leugnen, sie ist einer Lüge aufgesessen. Die Ukraine ist gemeinsam mit ihren westlichen Verbündeten der Aggressor. Der Westen liefert Waffen, die gegen Zivilisten gerichtet werden. Es sind grausame Kriegsverbrechen, die im Namen angeblicher westlicher Werte im Donbass begangen werden. Es ist tief zynisch, was der Westen hier tut. Es ist noch zynischer, dass westliche Medien diese Untaten und Verbrechen in eine Erzählung vom Kampf der Ukraine um Unabhängigkeit und Freiheit von Russland einkleiden und die Fakten schlicht verdrehen. 

Mascha muss sich im Donbass nicht für ihr Russisch-Sein entschuldigen. Russland wird in den Donbasser Volksrepubliken als Befreier gesehen. Die gleiche Erfahrung wie in Donezk und Lugansk macht sie in Mariupol, der Stadt, von der westliche Medien behaupten, Russland hätte dort wild Krankenhäuser und zivile Einrichtungen zerstört. Man sieht Mascha an, wie sie angesichts der Beschreibung des Erlebten mit den Tränen kämpft. Man merkt ihr auch an, wie diese Reise in den Donbass ein Akt der Befreiung war. Es ist natürlich eine bittere Erkenntnis zu verstehen, dass man für eine Lüge gekämpft und gelebt hat. 

Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Zum ersten Mal fuhr ich im Jahr 2015 nach Russland. Ich wollte herausfinden, was es mit den Berichten über die Unterdrückung und Verfolgung von Schwulen und Lesben in Russland auf sich hat. Die Antwort lautet: nichts. Alles daran ist gelogen und fügt sich als Mosaikstein in ein Gesamtbild von antirussischer Propaganda im Westen ein. Nun habe ich für diese Lüge nicht gekämpft, aber an diesen befreienden Effekt der Erkenntnis kann ich mich gut erinnern. In welchem Ausmaß deutschen Medien ihren Konsumenten Unwahrheiten auftischen, nur um ein antirussisches Ressentiment aufrechtzuerhalten, war auch für mich erschreckend.  

Auch Mascha antwortet auf die Frage, was an den Vorwürfen gegen Russland falsch sei, "alles". Man könne sich das Ausmaß der Lüge nicht vorstellen, das sich hinter dem westlichen Narrativ verbirgt. Das ist in der Tat richtig.

Das entspricht auf anderen Ebenen und in anderen Kontexten auch meiner Erfahrung. Das Ausmaß der Desinformation über Russland in den westlichen Medien ist so umfassend, dass es jede noch so wilde Phantasie übersteigt. Der Westen und allen voran Deutschland sind in einer vollumfänglichen, hermetisch abgeschlossenen Propaganda-Glocke gefangen. Es ist nicht Russland, das desinformiert. Es sind die großen deutschen Medien. 

Mascha hatte das Glück, mit einer Reise in den Donbass aus ihrem narkotisierten Zustand, den westliche Medien herbeiführen, geweckt zu werden. Ich hatte das Glück durch eine Reise nach Moskau, der noch viele weitere folgten, den Weg zur Realität gefunden zu haben. 

Den liberalen Russen, die sich in die EU aufgemacht haben, steht dieses Aufwachen noch bevor. Dabei ahnen einige von ihnen wohl schon, dass das westliche Narrativ in seiner Einseitigkeit so nicht stimmen kann. In einer heftigen Diskussion habe ich einem dieser liberalen Bekannten vorgeschlagen, wenn ihm so viel am Kampf gegen Russland liegt, dann sollte er statt seine Fähigkeiten als Programmierer deutschen Firmen zur Verfügung zu stellen, einfach bei einem Freiwilligen-Bataillon in der Ukraine anheuern. Schließlich sei er zudem davon überzeugt, dass die Verluste der russischen Armee extrem hoch, die der ukrainischen dagegen verschwindend gering seien. Das wäre dann doch der wesentlich direktere und effektivere Weg, gegen das Putin-Regime zu kämpfen. Das allerdings wollte er dann doch nicht. 

Was allerdings noch bevorsteht, ist die breite Erkenntnis der Deutschen, dass sie von ihren eigenen Medien umfänglich desinformiert werden. Die gesellschaftliche Erschütterung, die diese Erkenntnis nach sich ziehen wird, kann man sich im Moment noch nicht ausmalen. 

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.