Meinung

Wahl-Boykott, Aktivismus, Nazivergleiche – Die Deutsche Welle und ihre "Werte" im Praxistest

Die Deutsche Welle behauptet, sie sei von missionarischen Gedanken getrieben, weil sie für "Werte" eintrete. Dies habe aber nichts mit Propaganda zu tun. Eine Analyse zeigt, wie weit dieses Selbstbild von der Realität entfernt ist.
Wahl-Boykott, Aktivismus, Nazivergleiche – Die Deutsche Welle und ihre "Werte" im PraxistestQuelle: www.globallookpress.com

von Wladislaw Sankin

Der TV-Sender RT DE bereichert seit dem vergangenen Dezember das Medienangebot im deutschsprachigen Raum. Eine schlechte Nachricht sei das – für Deutschland und die Demokratie, hallt es seitdem durch das Land. RT DE sei einseitig und nicht vertrauenswürdig, das Portal beeinflusse die öffentliche Meinung und betreibe Desinformation, sagen die Konkurrenzmedien und die Politik. Das dürfte man eigtentlich nicht zulassen, fordern seit langem zahlreiche Stimmen in Medien und Politik.

Nun ist laut Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) dem Berliner Produktionsbüro RT DE Productions Gmbh die Ausstrahlung seines Programms in Deutschland ganz untersagt. Russland hat im Gegenzug Spiegelmaßnahmen eingeleitet, die einem Verbot der Tätigkeit des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) gleichkommen. Für die Presse- und Meinungsfreiheit und den deutsch-russischen Austausch sind das keine erfreulichen Nachrichten. Aber es war leider abzusehen, dass es dazu kommen würde.

Die restriktive MAAB-Entscheidung hat jedenfalls eine lange Vorgeschichte. Seit mehr als sieben Jahren, als RT Deutsch (so hieß RT DE damals) seinen ersten Artikel veröffentlichte, kam es zu Kampagnen gegen RT DE, die darauf abzielten, dem künftigen Fernsehsender die Rundfunklizenz zu verweigern. So äußerte sich beispielsweise der Deutsche Journalisten-Verband. 

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Manche "Experten" und Journalisten träumten sogar davon, RT DE irgendwie ganz zu verbieten. Denn die russischen Auslandsmedien nutzten die deutsche Pressefreiheit für ihre Propaganda, wie eine ehemalige Journalistin der DW in Anwesenheit des DW-Intendanten Peter Limbourg bei einer Podiumsdiskussion gesagt hat.

Dabei hat die DW selbst in Russland seit vielen Jahren eine Sendelizenz und durfte bis jetzt mit vielen weiteren westlichen Auslandsmedien ungehindert in russischer Sprache berichten. In Russland wurde das grundsätzlich nicht hinterfragt – weder von den Behörden noch von Journalisten.

Das könne aber keineswegs an liberalen Pressegesetzen Russlands oder dessen entspanntem Verhältnis zur Medienvielfalt liegen, würden die DW-Funktionäre dazu sagen. Denn die DW liefere hochwertige Medienprodukte, an denen nichts auszusetzen sei. Keineswegs seien sie Propaganda, sondern objektiv und ausgewogen. Sie stehen für Werte wie Demokratie und Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit ein. Diese Positionen des ehemaligen NATO-Korrespondenten der Deutschen Fernsehnachrichten Agentur Limbourg sind seit Jahren bekannt. Es sei eine "nationale Aufgabe", diese Werte zu vermitteln.  

Die Tatsache, dass DW-Kritiker in Russland weniger oft das Wort "Propaganda" in einem Atemzug mit dem Namen des Senders in den Mund nehmen, spricht allerdings noch nicht dafür, dass der DW Propaganda auch in Wirklichkeit fremd ist. Das könnte einfach an einer fairen Sprachregelung liegen, die es in Deutschland offenbar nicht gibt, wie der Umgang mit RT DE zeigt. 

Der DW-Intendant Peter Limbourg begreift sich seit Jahren im Kampf mit Russlands Medien und dem russischen Präsidenten. So hatte Limbourg im September 2014 der Wochenzeitung Die Zeit gesagt, er wolle "Putins Propaganda endlich Paroli bieten" und die DW dafür zu einem internationalen Informationssender ausbauen.

Putin versuche seit Jahren massiv, die Weltöffentlichkeit mit Russia Today zu beeinflussen und für sich zu gewinnen, sagte der Intendant. Es herrsche "eine Auseinandersetzung der Werte" auf allen Ebenen. Wenn wir bedenken, dass Limbourg in diesem Zusammenhang von einer "nationalen Aufgabe" redet, riecht das Ganze nach einem totalen (Info)Krieg.  

Kommentare der Politiker verstärken diesen Eindruck. "Wir erleben eine internationale Desinformationskampagne durch Putin und müssen mit medialer Aufklärung dagegenhalten", sagte der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kieswetter (CDU) damals in einem Kommentar für Handelsblatt. "Eine gestärkte Deutsche Welle kann wirksamer Informationen und Signale der Unterstützung an die Menschen in Osteuropa senden, auch an die dort lebenden Millionen Auslandsrussen."

Wenn es also um die DW geht, dann ist die Beeinflussung der öffentlichen Meinung in anderen Ländern ein legitimer Zweck. Auf RT DE angewandt, ist dieser Anspruch etwas Böses. Das sind ideologische Rahmen eines Doppelstandarts, die Diskussion um RT DE in Deutschland seit Jahren bestimmen. Um zu verstehen, inwieweit die DW selbst ihren selbst proklamierten Prinzipien von Demokratie, Freiheit und Toleranz in ihrer "Feldarbeit", also in ihrer täglichen Berichterstattung, entspricht, haben wir noch in März letztes Jahres mehrere "Fälle" aufgesammelt: 

Im Januar 2021 berichtete die DW auf Russisch über Wirtschaftsstatistiken aus dem Jahr 2020 in Deutschland und Russland und lieferte ein Lehrstück dafür, wie im Grunde die gleiche Nachricht je nach Land unterschiedlich geframt werden kann. Denn es gibt kein Land auf der Welt, das von der Corona-Krise wirtschaftlich nicht betroffen wäre. Über Deutschland twitterte die DW Folgendes:

"Die Pandemie hat der deutschen Wirtschaft erheblichen Schaden zugefügt. Dennoch ist die Lage besser als erwartet: Das deutsche BIP fiel um 5 % und die jährliche Inflationsrate lag bei 0,5 %. Prognosen für 2021 sind sehr optimistisch – Experten erwarten eine starke wirtschaftliche Erholung."

Also ist alles halb so schlimm, und es wird sowieso alles besser – so ist die Botschaft. Und schuld daran sei die Pandemie, eine nicht zu beeinflussende Naturkraft. Nur zwei Wochen später twitterte die DW über Russland:

"Das russische BIP sank 2020 um 3,1 Prozent. Dies ist der stärkste Rückgang der Wirtschaft seit 11 Jahren – seit der Krise 2009. Laut Rosstat ist dies auf restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus und einen Rückgang der weltweiten Nachfrage nach Energieressourcen zurückzuführen."

Die Nachricht über einen vergleichsweise moderaten wirtschaftlichen Rückgang wird durch eine eher düstere Wortwahl übertüncht. Die Perspektive sei ungewiss, auch wenn Russland derzeit viel schneller als Deutschland aus dem Lockdown in die Normalität zurückkehrt.

Noch krassere Beispiele für Voreingenommenheit liefert die Kolumnen-Sparte des deutschen Senders. Einer der gefragtesten DW-Autoren ist der Ukrainer Sergei Rudenko. Seine Sprache unterscheidet sich kaum von den Wortregelungen der Kriegsfalken in der ukrainischen Regierung. Die Halbinsel Krim sei von Russland nicht einmal annektiert, sondern "okkupiert", ukrainische Prominente, die zu Russland Verbindungen pflegen, seien "Kollaborateure", die Donbass-Rebellen "Terroristen".

Bemerkenswert ist auch, wie die DW über ukrainische Rechtsradikale berichtet. So wird der ehemalige Koordinator des Rechten Sektors Sergei Sternenko vom deutschen Sender ausschließlich als "proukrainischer Aktivist" bezeichnet. In keinem der Artikel über Sternenko wird erwähnt, dass er 2018 einen Menschen nach einer Verfolgungsjagd niedergestochen und dessen Sterben live gesendet hat: Sein Opfer lag aufgeschlitzt am Boden und röchelte. Dies hat der "Aktivist" angeblich aus Notwehr getan. Als es zu einem Prozess gegen Sternenko kam, haben seine Anhänger die Justiz massiv bedroht – RT berichtete.

Seit 2015 hat die DW ihre Präsenz in der Ukraine massiv erhöht – um auch dort nach einer Äußerung des DW-Intendanten "russischer Propaganda Paroli zu bieten". Wie die ukrainischen DW-Mitarbeiter den Auftrag umsetzen, zeigt ihre Teilnahme an einer Hetzkampagne gegen Menschen, die trotz extrem negativer politischen Wetterlage für gute Beziehungen zu Russland einstehen. Als die ukrainische Eurovision-Kandidatin Anna Korsun (Künstlername MARUV) im Jahre 2019 den ukrainischen Vorentscheid gewonnen und sich geweigert hatte, sich politisch gegen Russland zu positionieren, postete die DW auf Facebook:

"Die Sängerin MARUV hat zwei Möglichkeiten: die Ukraine beim Eurovision in Tel Aviv zu vertreten oder 'Koffer – Bahnhof – Russland'. Egal, wofür sie sich entscheidet, der Nachgeschmack der ganzen Geschichte wird bleiben."

Mit diesem Kurzkommentar griff die DW in die Rhetorikkiste der ukrainischen Nationalisten, die russlandfreundliche Stimmen stets mit der Parole "Koffer – Bahnhof – Russland" (russ. Чемодан-вокзал-Россия) niederbrüllen.

Zuvor ließ der Sender seine Leser via Twitter abstimmen, ob Korsun die Ukraine repräsentieren darf. Die DW-Leserschaft stimmte mehrheitlich für "Nein". Bemerkenswert, dass die DW all diese Aktivitäten unter ihrem Werbebanner für soziale Medien "Für Dialog ohne Hass" veranstaltete.

Ein weiteres großes Kapitel der DW-Aktivität ist die notorische mediale Unterstützung solcher Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin wie Alexei Nawalny und seiner Sympathisanten. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im März 2018 sorgte der DW-Artikel "Fünf Strategien des Protestverhaltens bei den Präsidentschaftswahlen in Russland" für Aufsehen. "Zu Hause bleiben, wozu Nawalny aufruft, oder die Wahlzettel beschädigen, wie Chodorkowski empfiehlt?", fragte sich die Redaktion und gab russischen Wahlberechtigten ausführliche Anweisung für eine Protestabstimmung.

Während der Proteste in Moskau wegen der Nichtzulassung einiger Kandidaten aus dem Nawalny-Umfeld bei den Moskauer Wahlen im Jahr 2019 hat der Twitter-Account des deutschen Senders de facto die Funktion eines Koordinationszentrums für die Protestler übernommen. Fast im Minutentakt verschickten die Redakteure stark emotionalisierte Nachrichten über die Änderungen der Marschrouten und Polizeipräsenz. "Moskau, raus auf die Straße! Nein, es ist offenbar noch nicht zu Ende", hieß es in einem der Tweets. Angeblich habe die DW bei dem Aufruf nur die Protestrufe wiedergegeben. 

Damals kam es zu einem Konflikt mit den russischen Behörden, die der DW direkte Einmischung in die innere Angelegenheiten vorwarfen. Doch der Streit hatte im Endeffekt für den deutschen Sender keine rechtlichen Konsequenzen. Würden die deutschen RT DE-Mitarbeiter sich annähend solchen Aktivismus erlauben oder Anweisungen zum Boykott der Wahlen erteilen? Das ist unvorstellbar, nicht nur, weil die deutsche Justiz sicherlich sofort eingeschritten wäre. Das gehört bei RT DE einfach nicht zum Grundverständnis der journalistischen Arbeit. Genauso wenig wie Nazi-Vergleiche, die in der RT DE-Redaktion absolut tabu sind. Anders bei der DW.

Kein Geringerer als Joscha Weber, Leiter des Sportressorts der DW, verstieg sich im Januar 2019 dazu, die russische Antidoping-Agentur RUSADA mit Nazi-Deutschland zu vergleichen, mit dem man keine "Appeasement-Politik" betreiben dürfe. In der russischen Variante seines Artikels schrieb er:

"Da sorgt eine sportliche Großmacht für den größten Doping-Skandal der Sportgeschichte, und die Welt-Anti-Doping-Polizei übt sich in Milde, Nachsicht und einer Politik der Umarmung. Geht's noch? Das Verhalten der WADA ist geradezu naiv. Das ist so, als hätten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Alliierten plötzlich zu einer Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland gewechselt."

Man fragt sich, weshalb der Autor eigentlich glaubte, mit dem infamen Vergleich und der Banalisierung der Verbrechen Nazi-Deutschlands ausgerechnet beim russischsprachigem Publikum zu punkten? Denn der fragliche Satz ist weder in der deutschen noch in der englischen Variante des Artikels erschienen. Später wurde er allerdings auch aus dem russischen Text entfernt.

Kleine und große DW-Skandale sind in Russland inzwischen Normalität. Es wundert dort niemanden, dass es große Schnittmengen zwischen den ausländischen Medien und der radikalen russischen Opposition gibt. Deshalb nehmen die russischen staatlichen Medien beispielsweise von jener Tatsache keine Notiz, dass die jährlichen Konferenzen "Forum freies Russland" in Litauen, zu der sich seit Jahren die radikalsten Vertreter der russischen Auslandsopposition versammeln, von einem Kolumnisten der DW (Konstantin Eggert) moderiert werden. Zu den Lieblingsthemen des Forums und dessen Teilnehmer gehören beispielsweise mögliche Repressalien gegen ihre Gegner nach dem Sturz des "Putin-Regimes" oder Diskussionen über einen möglichen Zerfall Russlands in viele kleinere Staaten.

Wenn wir Parallelen ziehen, dann ist das Schlimmste, das der Spiegel in einem "Enthüllungs"-Glanzstück über RT DE gefunden hat, eine Mitarbeiterin, die vor ihrem Einstieg bei RT DE als Hobby-Verlegerin ein Buch mit Putin-Zitaten veröffentlicht hatte. Sollte sie sich der deutschen Regierung aktiv widersetzen und deutsche "Oppositionelle" unterstützen, würde ihr das mit Sicherheit verziehen.

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