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Lange Konfrontation: Russland und USA in der Zeit globaler Umverteilung von Macht und Ressourcen

Der Ukraine-Konflikt ist nur die erste Phase im Kampf zwischen Moskau und Washington. Die Strategie der USA besteht darin, das Aufflammen von strategischer Autonomie gewaltsam zu löschen, was Washington in Westeuropa in der ersten Phase der Ukraine-Krise gelungen ist.
Lange Konfrontation: Russland und USA in der Zeit globaler Umverteilung von Macht und RessourcenQuelle: Gettyimages.ru

Von Andrei Suschenzow

Die Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten sind in eine Phase eingetreten, die man als "verlängerte Konfrontation" bezeichnen kann. Wenn Interaktionen zwischen Moskau und Washington immer noch der zentrale Prozess der internationalen Ordnung wären, wie es während der Zeit des Kalten Krieges der Fall war, könnte man diese Phase als vorübergehend betrachten. Doch die Konfrontation zwischen Moskau und Washington ist nun eine von vielen. Noch wichtiger ist, dass diese Konfrontation unter Bedingungen stattfindet, die nur alle paar Jahrhunderte auftreten – in einer Zeit globaler Umverteilung von Macht und Ressourcen.

Dieser Prozess betrifft Russland und die USA nur ansatzweise. Innerhalb weniger Jahrzehnte wird sich das Zentrum der globalen Produktion und des globalen Konsums endgültig nach Asien verlagert haben und der Schwerpunkt der Weltwirtschaft wird an der Grenze zwischen Indien und China liegen. In diesem Zusammenhang wird die langjährige russisch-amerikanische Konfrontation zwar eine der maßgebenden Konfliktlinien bleiben, aber sicherlich nicht die einzige.

Warum komme ich zu dem Schluss, dass diese Konfrontation langwierig sein wird? Trotz erheblicher Vorteile bei den Ressourcen und starker Positionen in Schlüsselbereichen, befinden sich die USA in einer Situation, in der ihre Rivalen schnell aufholen. Washington sieht sich mit einem immer dichter werdenden internationalen Umfeld konfrontiert, das Hindernisse für das bisher uneingeschränkte US-amerikanische Handeln darstellt.

Die vier Stärken der USA, in denen ihre Offensivstrategie zugrunde liegen, sind: Erstens ihre immer noch beachtliche militärische Macht; zweitens ihre zentrale Rolle im globalen Finanzsystem, das eine internationale Infrastruktur zur Zahlungsabwicklung und eine konvertierbare Währung bereitstellt; drittens die starke Position in einer Reihe von Technologiebereichen und viertens eine felsenfeste Ideologie und ein Wertekanon. Zusammen genommen bildet es das, was man als "Pyramide der Glaubwürdigkeit" für die amerikanische Strategie in der Welt bezeichnen kann. Diese Pyramide existiert sowohl im Wirtschafts- und Finanzbereich als auch in der Außenpolitik.

Das Vertrauen in diese Pyramide der Glaubwürdigkeit erklärt das irrationale Verhalten einiger europäischer Staaten. Unfähig zu einer ausgewogenen Analyse der Folgen ihrer Entscheidungen, beispielsweise zur Ukraine-Krise, sind sie nun gezwungen, sich wie das deutsche Magazin Der Spiegel zu fragen: "Was wäre, wenn die Vereinigten Staaten keine dauerhaften Verbündeten hätten? Die Westeuropäer vertrauten der von den Vereinigten Staaten angebotenen Logik, sie kauften ihnen das Angebot buchstäblich ab. Dieses Angebot beinhaltete, dass der Westen Russland eine rasche Niederlage bescheren würde, viele wirtschaftliche Ressourcen freigesetzt werden, während die Beziehungen zu Moskau auf einer anderen Ebene neu aufgebaut würden, die für die EU vorteilhafter wären. Man glaubte, dies sei eine wirksame Strategie."

Die USA verfügen über eine der fortschrittlichsten Erfahrungen im strategischen Denken. Die klassische europäische Kultur erlebte ihre breiteste Entfaltung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in US-amerikanischen Universitäten, in der Forschung und in Expertenkreisen. Analytikern wie Hans Morgenthau, Henry Kissinger und einigen anderen gebürtigen Europäern gelang es, ihre Ideen systematisch zu skizzieren und sie dann in die außenpolitische Praxis der USA zu integrieren.

Diese Impfung mit europäischem strategischem Denken passte gut zur klassischen US-amerikanischen Strategie als maritime Nation und trug Früchte, die es Washington in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ermöglichten, die gesteckten Ziele zu erreichen. Jetzt sehen wir jedoch, dass diese strategische Denkweise ins Wanken gerät: Nüchterne, realistische Denker sind im Establishment in der Minderheit. Ist dies das Ergebnis einer "Leichtfertigkeit" nach dem Kalten Krieg, des Gefühls, dass diese militärische und politische Dominanz nie enden wird?

Ende 2021, in der akuten Phase der Ukraine-Krise, haben die USA einen großen Fehler begangen, indem sie beschlossen, statt einer Strategie der Positionsverteidigung, eine Strategie der Zerschlagung Russlands zu verfolgen. In der Weltgeschichte waren dies die beiden klassischen militärpolitischen Varianten. Die Strategie der Zerschlagung basiert immer auf erheblichen materiellen, ideologischen und machtpolitischen Vorteilen, dem Besitz der Initiative und dem Glauben an eine schnelle Niederlage des Gegners. Dies war die Idee Alexanders des Großen, als er seinen Feldzug begann, mit einer sehr fortschrittlichen Armee, die für die damalige Zeit über fortschrittliche Militärtechnologie verfügte. Das Prinzip der Phalanx – tief gestaffelte, geschlossene Schlachtreihen –, wurde von den Thebanern entwickelt und dann von den Mazedoniern übernommen und mit starken Kavallerieeinheiten ergänzt.

Im gesamten Feldzug erlitt die Armee von Alexander dem Großen keine einzige Niederlage. Das Haupthindernis für die Mazedonier war die Konfrontation mit den griechischen Söldnern aus Athen, die eine klassische Stellungsstrategie anwendeten. Aber was ist der Sinn einer solchen Strategie? Die Initiative wird aufgegeben, lässt die andere Seite handeln und verlässt sich auf die Notwendigkeit, Ressourcen zu mobilisieren und zu konzentrieren. Ein entscheidender Kampf wird so lange wie möglich vermieden und es wird erst dann eingegriffen, wenn es unmöglich ist, diesen Kampf zu verlieren. Anhand dieser Beschreibung können wir das typische strategische Verhalten Russlands in verschiedenen Kriegsperioden in seiner Geschichte erkennen.

Die USA versuchen Russland zu zerschlagen, obwohl sie nicht über überlegene Ressourcen verfügen, und schätzen sowohl ihre eigenen Fähigkeiten als auch die ihrer Verbündeten falsch ein, um ihre Ziele zu erreichen: Russland zu isolieren, interne Aufstände anzuzetteln, die öffentliche Unterstützung für die Regierung zu untergraben, große Schwierigkeiten an der ukrainischen Front zu schaffen und dadurch Russland so schnell wie möglich in die Knie zu zwingen. Nun ist die Konfrontation im militärischen Bereich jedoch in eine andere Phase eingetreten und die USA sind gezwungen, nach einem Ausweg aus dieser Situation zu suchen.

Die strategische Kultur der USA gegenüber Verbündeten, zeichnet sich durch einen Ansatz der Vorläufigkeit aus, und es ist zu erwarten, dass die Kosten für den Besitz der "ukrainischen Trophäe" irgendwann zu hoch sein werden, und die USA nicht mehr davon profitieren können. Die im Januar 2023 veröffentlichte Analyse "Avoiding a Long War" (Vermeidung eines langen Krieges) der Denkfabrik RAND Corporation, ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Darin heißt es ausdrücklich, dass die relativen Vorteile aus dem Besitz der "ukrainischen Trophäe" im Allgemeinen bereits realisiert wurden, während die Kosten für die Aufrechterhaltung des Besitztums weiter steigen werden.

Das bedeutet nicht, dass die USA nach dem absehbaren Ende der Ukraine-Krise aufhören werden, eine offensive Strategie zur Zerschlagung Russlands zu verfolgen. Für die USA ist Russland ein ernstzunehmender Rivale bei der Beantwortung der entscheidendsten Frage des 21. Jahrhunderts: Wird die US-amerikanische Hegemonie fortbestehen oder wird sich die Welt in Richtung eines ausgewogeneren polyzentrischen Systems bewegen? Während nur wenige von uns damit gerechnet haben, dass wir uns noch während des Prozesses der Beantwortung dieser Frage in einer militärischen Krise befinden würden, beschleunigen sich jetzt die Entwicklungen.

Das Drama der "Hegemonie oder Polyzentrizität" wird nicht in der Ukraine gelöst werden, weil es andere Spannungsfelder in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und schließlich in der westlichen Hemisphäre geben wird, wo Russland und die USA auf entgegengesetzten Seiten der Barrikaden stehen werden. Russlands Konfrontation mit den USA wird lange andauern, obwohl es gewisse Entspannungsphasen geben wird, die von den USA genutzt werden, um Fragen von gemeinsamen Interessen zur Diskussion zu stellen. Aus der Erfahrung des Kalten Krieges erkennen wir eine gemeinsame Verantwortung für das Überleben der Menschheit, und ich persönlich halte die Risiken einer nuklearen Eskalation in dieser Konfrontation für relativ gering.

Russlands Aufgabe wird es sein, ein Netzwerk von Beziehungen zu gleich gesinnten Staaten aufzubauen, zu denen möglicherweise auch einige aus dem Westen gehören. Die Strategie der USA besteht darin, das Aufflammen von strategischer Autonomie gewaltsam zu löschen, was Washington in Westeuropa in der ersten Phase der Ukraine-Krise gelungen ist. Aber dieser Schritt war einer der letzten Erfolge in dieser Hinsicht.

Aus dem Englischen.

Andrei Suschenzow ist assoziierter Professor am staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau und Programmdirektor beim Valdai Club.

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