Deutschland

Faktencheck: Warum die Strompreise wirklich durch die Decke gehen

Obwohl nur ein geringer Teil der Stromerzeugung aus Gaskraftwerken stammt, erreichen die Strompreise neue Rekordhöhen. Die Gründe dafür sind ein dysfunktionaler Marktmechanismus an der Energiebörse – und Krisengewinner wie RWE, die so Rekordgewinne einfahren.
Faktencheck: Warum die Strompreise wirklich durch die Decke gehenQuelle: www.globallookpress.com © Ingo Schulz via www.imago-images.de

Von Daniel Schrawen

Angesichts der Energiekrise, die aus den extrem gestiegenen Gaspreise resultiert, fragen sich einige vermutlich, warum unter anderem geplant ist, auch Strom zu sparen und beispielsweise auf die nächtliche Beleuchtung am Brandenburger Tor verzichtet werden soll. Obwohl der Anteil von Gas an der Stromerzeugung überschaubar ist (2021 betrug der Anteil etwa 12 Prozent), hatte sich der Strompreis bis Juli bereits verfünffacht, mittlerweile beträgt die Preissteigerung sogar das 20-Fache. Doch noch im Juli erklärte der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, man habe ein Gasproblem und kein Stromproblem.

Mit dieser Äußerung zeigt Habeck allerdings selbst für einen Grünen erstaunlich wenig Verständnis für die Zusammenhänge der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik, denn Strom- und Gaspreise hängen über einen mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufenen Marktmechanismus zusammen. An dieser Stelle ist es hilfreich, sich die Funktionsweise der Strombörse European Energy Exchange (EEX) in Leipzig vor Augen zu führen.

Elektroenergie muss ständig nach dem aktuellen Bedarf in das Netz eingespeist werden, da sonst ein Blackout droht. Falls kurzfristige Schwankungen zwischen Verbrauch und Produktion bestehen, kann Strom an der Börse kurzfristig in Schritten von 15 Minuten bestellt werden. Der größte Teil der Elektroenergie wird allerdings vorab für den nächsten Tag verkauft. Zunächst kommen dabei die günstigeren Energieanbieter zum Zuge: Erneuerbare Energien, Atomkraft und Kohlekraftwerke. Wird mehr Strom verbraucht, kommen die teuersten Anbieter zum Einsatz, also in den meisten Fällen Gaskraftwerke.

Das Absurde kommt aber erst noch: Die Preisbildung erfolgt nämlich nach dem Merit-Order-Prinzip. Das heißt, der teuerste Anbieter bestimmt den Marktpreis und jeder Anbieter erhält den Preis des teuersten Kraftwerks.

Sofern die Energiepreise für die verschiedenen Anbieter ähnlich sind, kann ein solches System zwar funktionieren. Angesichts der exorbitant hohen Gaspreise wird der Marktmechanismus jedoch dysfunktional und das System gerät in eine drastische Schieflage.

Natürlich wird nicht das gesamte Elektroenergieaufkommen an der EEX gehandelt. Doch auch die Preise bei längerfristigen Verträgen orientieren sich letztlich an den Börsenpreisen, da zusätzlich benötigter Strom an der Börse eingekauft werden muss. Außerdem ergibt es in einem kapitalistischen System keinen Sinn, Strom langfristig billig anzubieten, wenn man an der Börse damit kurzfristig höhere Gewinne erzielen kann. In erster Linie bekommen natürlich Neukunden die Preissteigerungen zu spüren, aber auch länger laufende Verträge enden irgendwann einmal.

Gewinner der Krise sind bei einem nicht mehr funktionierenden Marktmechanismus die Energiekonzerne. Bei diesen sorgt die Gaskrise für unerwartet hohe Gewinne – in Fachkreisen auch "Windfall Profits" genannt. (Eine Ausnahme stellt E.ON dar, da sich das Unternehmen in den letzten Jahren aus der Energieerzeugung zurückgezogen hatte und sich seitdem in erster Linie um den Vertrieb und das Netzgeschäft kümmert, was sich nun rächt.) RWE hingegen profitiert von der Krise und rechnet mit Gewinnen von mehr als fünf Milliarden Euro. Der Grund für die hohen Gewinne dürfte klar sein: Eine Schieflage am Markt, von der alle Energieerzeuger profitieren – auch die Anbieter erneuerbarer Energien. Die Energiekonzerne müssen dazu nicht einmal an der Börse spekulieren, sondern – salopp gesagt – nur die Taschen aufhalten.

Dass der sogenannte "freie Markt" an dieser Stelle nicht mehr funktioniert, ist mehr als offensichtlich. Daher müsste der Staat an dieser Stelle zwingend eingreifen. Allerdings werden die verschiedenen Möglichkeiten hierzu kaum diskutiert – wohl auch, weil der zugrundeliegende Marktmechanismus nur in vergleichsweise wenigen Medienbeiträgen erläutert wird, die zudem vorzugsweise zu später Stunde gesendet werden. Stattdessen werden in den meisten Fällen relativ unkritisch die Pressestatements der Energiekonzerne wiedergegeben. In entsprechenden Beiträgen ist häufig die Rede davon, dass die Energieunternehmen auf erneuerbare Energien setzen. Die wahren Gründe für die Rekordgewinne werden jedoch selten hinterfragt. Dies dürfte einem allerdings mit Blick auf die Pharmakonzerne bereits aus der Corona-Krise bekannt vorkommen.

Eine entsprechende Stellschraube könnte beispielsweise eine Erhöhung des Angebots sein. Allerdings wäre ein Ausbau der erneuerbaren Energieträger kurzfristig kaum zu bewerkstelligen und daher eher nur mittel- bis langfristig eine Option. Hinzu kommt außerdem, dass im Jahr 2021 bereits eine Reihe von Kernkraftwerken und Kohlekraftwerken vom Netz genommen wurden, was die gegenwärtige Situation zusätzlich verschärft. Eine Reaktivierung von Kohlekraftwerken ist zwar bereits geplant, allerdings sind die Preise für den Energieträger Kohle infolge der Sanktionen gegen Russland ebenfalls deutlich gestiegen. Letztendlich bleibt noch eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten denkbar. Diese Maßnahme würde die erforderlichen Laufzeiten von Gaskraftwerken verkürzen, was wiederum den Strompreis senken würde.

Im Moment wird eine solche Verlängerung von AKW-Laufzeiten bekanntlich geprüft, doch diese Idee könnte nicht nur an der grünen Ideologie scheitern. So erklärte RWE-Chef Markus Krebber gegenüber dem Handelsblatt wenig enthusiastisch:

"Die Kapazitäten sind überschaubar, und der Effekt hält sich beim Blick auf die Gaskrise in Grenzen."

An dieser Stelle dürfte jedem endgültig klarwerden: Auch die Energiekonzerne werden kein großes Interesse haben, die Laufzeiten zu verlängern, da sie damit zugleich das lukrative Geschäftsmodell für ihre unerwarteten derzeitigen Gewinne zunichtemachen würden. Dies erklärt auch, weshalb im Mai dieses Jahres so viel Gas "verstromt" wurde wie noch nie. Außerdem profitiert davon sogar der Bundeshaushalt: Für den Bund sinkt die EEG-Umlage, die er ab dem 1. Juli von den Verbrauchern übernommen hatte, nahezu auf null.

Auch bedingt durch die Hitzewelle der letzten Wochen wurde im Juli wesentlich mehr Gas zur Stromerzeugung genutzt als im Vorjahreszeitraum. Dies wurde vor allem in den Stromexporten deutlich: So wurde Elektroenergie aus Deutschland verstärkt in die Schweiz exportiert, da dort die Wasserkraftwerke aufgrund des niedrigen Wasserpegels in den Flüssen nicht so viel Strom erzeugen konnten, aber auch nach Frankreich. Dort lieferten die Atomkraftwerke aufgrund des hitzebedingten Kühlwassermangels nur eine verminderte Leistung. Zudem wurden zahlreiche Kernkraftwerke in Frankreich aufgrund von Korrosionsschäden der Kühlrohre erst einmal vom Netz genommen.

Allerdings hat dies weniger mit angeblich "solidarischem Verhalten europäischer Länder" zu tun, wie Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie gegenüber Focus Online behauptete. Im Interview räumte er selbst  ein, dass es sich für die Unternehmen schlicht und einfach lohnt. Die Energiekonzerne haben also vermutlich gar kein Interesse an der Beseitigung der Schieflage am Markt, von der sie profitieren. Daher ist an dieser Stelle ein Eingriff des Staates notwendig, um die Fehler der Liberalisierung des Strommarktes in den 2000er Jahren zu korrigieren.

Andere und effektivere Eingriffe neben einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wären zum Beispiel eine Preisdeckelung für Strom oder – ganz simpel – eine Aussetzung oder zumindest eine Anpassung des Merit-Order-Prinzips, da der Markt an dieser Stelle versagt und bei weiterer Gasknappheit für auch weiterhin explodierende Strompreise sorgen wird.

Zumindest ein weiterer Punkt wird jedoch in letzter Zeit häufig diskutiert: Eine Übergewinnsteuer zulasten der Krisenprofiteure. Einige Länder haben eine solche Steuer bereits eingeführt, wie zum Beispiel Italien im März, oder sie planen es, wie Ungarn, Großbritannien, Rumänien, Griechenland und weitere. Deutschland verhält sich allerdings derzeit wieder einmal wie ein Geisterfahrer: Habeck äußerte sich dazu zurückhaltend und erklärte bereits, dass die Umsetzung solch einer Idee schwierig werden könne. Sein Ministerium wiederum ist offenbar mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Der wahre Grund dürften allerdings Marktradikale wie der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sein, der eine zusätzliche Besteuerung von Unternehmen kategorisch ablehnt.

Den größten Vogel hat Habeck selbst jedoch mit der Gasumlage abgeschossen: Anschließend "bedankte" er sich auch noch allen Ernstes bei RWE und Shell, dass diese auf die Umlage verzichten. Grund für die Entscheidung der Unternehmen ist offenbar die Befürchtung, dass womöglich doch noch eine Übergewinnsteuer kommt, so die Berliner Zeitung. Habeck erklärte diesbezüglich:

"Einige Unternehmen, die aber am Markt breit aufgestellt sind, haben gesagt: Wir wollen keine Kosten erstattet bekommen und von dieser Umlage keinen Gebrauch machen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken."

Habeck bedankt sich also dafür, dass einige Unternehmen auf Geld verzichten, dass ihnen der Staat freiwillig geben würde, obwohl sie als Krisengewinner das ohnehin gar nicht nötig haben. Auf alle Bürger als Endverbraucher hingegen kommt noch die Gasumlage zu – neben der Inflation und den ohnehin explodierenden Strompreisen. Offenbar steht Habeck seinem Koalitionspartner Lindner in nichts nach, was die Anbiederung an Großkonzerne und die Verachtung der Lohnabhängigen angeht.

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