400 Jahre Dreißigjähriger Krieg: Eine europäische Ur-Katastrophe?
An diesem Mittwochmorgen, dem 23. Mai 1618, kurz nach 9.00 Uhr, befand sich Wilhelm Slavata in einer äußerst misslichen Lage - er hing in 17 Metern Höhe aus einem Fenster der Prager Burg. Der 46-Jährige, ein hoher Vertreter der Obrigkeit in den Ländern der böhmischen Krone, konnte sich gerade noch am Sims des Fensters festhalten, aus dem ihn fünf bewaffnete Männer kopfüber hinauswarfen - genauso wie kurz zuvor seinen Amtskollegen Jaroslav Borsita Graf von Martinitz.
Augenblicke später durchfuhr Slavata ein stechender Schmerz. Jemand schlug ihm mit dem Griff eines Schwertes auf die Finger. Irgendwann wurde der Schmerz unerträglich, er ließ los und stürzte in die Tiefe. Am Fenstersims eines darunterliegenden Geschosses schlug er sich noch den Hinterkopf an, bevor er, so seine eigenen Erzählungen, im Burggraben auch noch mit dem Kopf gegen einen Stein stieß. Nachdem Slavata in der Tiefe des Burggrabens verschwunden war, konzentrierten sich die Angreifer auf dessen Sekretär, Philipp Fabricius von Rosenfeld. Und auch Fabricius folgte den beiden durchs Fenster in die Tiefe.
Konfessioneller Charakter des Konflikts nur vordergründig
Dieser Vorfall ging als "Prager Fenstersturz" in die Geschichte ein. Er löste vor 400 Jahren jenen Aufstand der überwiegend protestantischen böhmischen Stände aus, der gemeinhin als Beginn des Dreißigjährigen Krieges gilt. Zuvor hatte es bereits erste Unruhen gegeben. Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser Ferdinand II., schränkte von 1617 an die Rechte der protestantischen Stände zusehends ein. Der Fenstersturz war quasi die Kriegserklärung der böhmischen Protestanten an den katholischen Kaiser. Dabei wollte eigentlich niemand einen Krieg - und schon gar keinen solchen verheerenden.
Der Krieg, wenn man denn überhaupt von einem zusammenhängenden solchen reden kann, veränderte die politische wie religiöse Landkarte Europas vollkommen, mit Konsequenzen bis in die Gegenwart hinein, schreibt der britische Historiker Peter H. Wilson von der Universität Oxford in seinem vor kurzem auf Deutsch erschienenen Standardwerk. Eine solche Dimension militärischer Auseinandersetzungen hatte Europa bis dahin noch nicht gesehen.
Genaue Opferzahlen lassen sich nicht mehr ermitteln. Angenommen wird, dass von der Gesamteinwohnerzahl des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - etwa 16 bis 18 Millionen Menschen im Jahre 1618 - etwa ein Drittel ihr Leben direkt durch Kriegshandlungen oder indirekt durch Seuchen oder Krankheiten verlor. Manche gehen für ganz Europa von etwa acht Millionen Opfern aus. Die Zahl der Toten und die der Flüchtlinge sowie das Ausmaß der Verwüstungen werden heute noch mit den Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges verglichen.
Lange Zeit wurde das europäische Trauma als Glaubens- oder Religionskrieg verkauft. Doch inzwischen ist unbestritten, dass die Grenzen von Religion, Konfession, Nationalität sowie wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen quer durch die Frontlinien verliefen. Das ist insofern nicht verwunderlich, als damals in Europa Staat und Kirche, Politik und Religion - wie heute in manchen anderen Weltregionen - unauflöslich verbunden waren.
So verbündete sich etwa das katholische Frankreich mit deutschen, schwedischen oder niederländischen Protestanten gegen die katholischen Habsburger. Das katholische Frankreich und das katholische Spanien befanden sich ebenfalls lange in einem Kalten Krieg, der dann in den 1630er Jahren eskalierte, erläutert Wilson.
Söldnerheere als Regelfall
Andererseits waren unter den 67 Generälen und Obristen der im Juni 1637 bei Torgau liegenden schwedischen Regimenter nur 12 Schweden. Die anderen waren Deutsche, Finnen, Livländer, Böhmen, Schotten, Iren, Niederländer und Wallonen. Die kaiserlich-habsburgischen Truppen kamen entsprechend eher aus dem Süden Europas: aus Spanien etwa, Portugal oder Italien.
Es kämpften also Söldnerheere gegen Söldnerheere, die entscheidende Frage war für viele, wer am besten zahlte. Mit die größte Katastrophe für die Menschen waren marodierende Söldner. Diese hielten sich, sobald sie nach einem Feldzug entlassen wurden oder aus anderen Gründen keinen Sold mehr bekamen, auf grausamste Weise an der Bevölkerung schadlos.
Alle drei Männer überlebten übrigens den Prager Fenstersturz. Das führte zu der Legende, die drei Katholiken wären in einem Misthaufen gelandet. Letzten Endes dürften vor allem die damals modernen dicken Mäntel, der durchnässte Boden im Burggraben und die schräg abfallende Burgmauer geholfen haben, den Aufprall abzumildern. Die kleinen Fenster hinderten die Angreifer auch daran, die ausgewachsenen Männer in hohem Bogen rauszuwerfen. Sie mussten eher mühsam rausgedrängt werden.
Alle drei Gesandte überlebten
Den Misthaufen ersannen im Nachgang wohl die protestantischen Aufrührer. Sie hielten diese Erzählvariante jener der Katholiken entgegen, wonach die Jungfrau Maria den Dreien beigestanden habe.
Zwei der drei Gestürzten konnten jedenfalls gleich fliehen - Martinitz über die Grenze nach Bayern und Fabricius nach Wien, ins pulsierende Zentrum der Habsburger Monarchie und des Heiligen Römischen Reiches. Dort konnte er sogleich dem Kaiser die "Kriegserklärung" der Protestanten melden. Slavata musste sich eine Zeit verletzt versteckt halten, bevor auch er das Weite suchte.
(dpa)
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