Europa

Erschütterung der politischen Landschaft: Die Parlamentswahlen in der Slowakei

Die Parlamentswahlen in der Slowakei – wie ein Mord vor zwei Jahren die Sozialdemokraten zu Fall brachte und nun eine Koalition aus Rechten, ultra-liberalen EU-Skeptikern und pro-europäischen Konservativen nötig scheint.
Erschütterung der politischen Landschaft: Die Parlamentswahlen in der SlowakeiQuelle: AFP © / Joe Klamar

von Pierre Lévy

Die Parlamentswahlen in der Slowakei am 29. Februar waren durch einen starken Anstieg der Wahlbeteiligung gekennzeichnet: 65,8 Prozent, 6 Punkte mehr als 2016. Die politische Szene in diesem mitteleuropäischen Land mit 5,5 Millionen Einwohnern ist durch die Wahlen erschüttert worden. Diese waren durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet.

 Die erste Besonderheit war die schwere Niederlage der Partei SMER-SD, die den europäischen Sozialdemokraten angehört, aber oft eines "populistischen Abdriftens" beschuldigt wird. Ihr emblematischer Chef, Robert Fico, führte die Regierung seit dem Jahr 2006 (abgesehen von einer Unterbrechung zwischen 2010 und 2012), bevor er im März 2018 zum Rücktritt gezwungen wurde. Zuvor war im Februar 2018 ein junger Journalist ermordet worden, der Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und angeblich regierungsnahen Geschäftsleuten untersuchte – einer von ihnen steht derzeit vor Gericht, weil er als Anstifter des Verbrechens angeklagt ist. Fico musste angesichts von Zehntausenden von Demonstranten, die ihn der Vertuschung des Verbrechens verdächtigten und dass er in viele Korruptionsfälle verwickelt sei, seinen Posten als Premierminister an einen seiner Parteigenossen, Peter Pellegrini, übergeben.

Pellegrini musste die Ohrfeige der Wähler kassieren. Denn es ist eindeutig dieser Kontext, der die SMER-SD auf 18,3 Prozent der Stimmen, und damit um zehn Punkte weniger als 2016, sinken ließ. "Wäre dieser Mord nicht gewesen, stünde ich heute als Premierminister mit der Unterstützung von 30 Prozent der Wähler vor Ihnen", hatte Fico sogar während des Wahlkampfes trompetet.

Das andere Merkmal der Wahl war der unerwartet große Sieg der „Bewegung der einfachen Leute und unabhängigen Persönlichkeiten“ (Olano). Mit 25 Prozent der Stimmen (+14 Punkte) schlug sie Kapital aus ihrem Aufruf zur "Säuberung der Slowakei". Diese konservative Partei, Olano, war offensichtlich in der besten Lage, den Zorn und die Frustration des Volkes zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Das stellt einen persönlichen Erfolg für Igor Matovic dar, den Gründer der Partei vor zehn Jahren, der eindeutig mit einem großen Sinn für Kommunikation und Selbstdarstellung begabt ist. Aber der wohlhabende 46-jährige Geschäftsmann, der damit begann, sein Vermögen mit Kleinanzeigenzeitungen aufzubauen, bevor er seinen Pressekonzern erweiterte, wird oft als exzentrisch, unberechenbar und wankelmütig beschrieben. Er hat seinen Erfolg darauf aufgebaut, "Diebe" und "korrupte" Politiker zu entlarven. Er hat auch erklärt: "Ich will Politik so machen, wie ich fühle, nicht auf die richtige Art und Weise", was einige Beobachter dazu veranlasst hat, ihn als "Rechtspopulisten" einzustufen.

Ergebnisse der weiteren Parteien der Slowakei

An dritter Stelle steht die Partei SME-Rodina, die politisch nah von Marine Le Pen und Matteo Salvini steht, mit 8,2 Prozent, was einem Anstieg von 1,6 Punkten entspricht. Es folgt "Unsere Slovakia" (LSNS) mit 8 Prozent (stabil). Diese Partei, die sich lange auf eine Abstammung vom slowakischen Nationalsozialismus berief und weiterhin romafeindlich ist, unterbreitet dennoch "linke" soziale Vorschläge und ihre Bereitschaft, die NATO zu verlassen und ein Referendum zur Aufgabe des Euro durchzuführen.

Schließlich überschritten zwei sogenannte "zentristische" Gruppierungen die notwendige Grenze, um in das Parlament einzutreten: Zum einen die SaS, eine Partei ultraliberaler Inspiration, die mit 6,2 Prozent die Hälfte ihres bisherigen Ergebnisses erreichte. Zum anderen die Partei "Für das Volk", die von dem ehemaligen Präsidenten und Geschäftsmann, dem "philanthropischen" pro-EU-Politiker Andrej Kiska, gegründet wurde, der Robert Fico bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 besiegt hatte. Diese neue Bewegung liegt bei 5,8 Prozent.

Mehrere andere zentristische Gruppierungen hatten es nicht geschafft, eine Einigung zu erzielen, was sie daran hinderte, im Parlament zu bleiben oder ihm beizutreten, sehr zur Verzweiflung Brüssels, das insbesondere auf die Fortschrittliche slowakische Partei (PS) setzte. Diese Bewegung wurde vor Kurzem von Zuzana Caputova ins Leben gerufen, die im März 2019 als Staatsoberhaupt gewählt wurde und die manchmal politisch mit Emmanuel Macron verglichen wird. Sie hatte gegen ihren SMER-SD-Rivalen gewonnen, indem auch sie schon auf der Empörungswelle surfte, die durch die Ermordung des Journalisten ausgelöst wurde. Maßnahmen zur gesellschaftlichen Liberalisierung hatte sie auch vorgeschlagen. Mit 6,96 Prozent verpasst ihr Bündnis nur um eine Haaresbreite den Einzug ins Parlament.

Die Christlich-Demokratische Bewegung (KDH), die den EU-Beitritt des Landes vor dem Jahr 2004 vorbereitete, bleibt mit 4,6 Prozent aus dem Spiel, ebenso wie die beiden Gruppen, die die ungarische Minderheit vertreten wollen, darunter die mit der scheidenden Regierung assoziierte Most-Hid (2 Prozent, minus 4,4 Punkte). Auch die Slowakische Nationalpartei (SNS, nationalistische Rechte, Erbe einer 1871 gegründeten Partei), der dritte scheidende Koalitionspartner, verlor mit 3,2 Prozent (minus 5,7 Punkte) alle ihre Abgeordneten.

Koalitionsbildung - absolute Mehrheit nur mit gegensätzlichen Parteien möglich

Mit sechs im Parlament vertretenen Parteien ist die Zersplitterung geringer als in den Umfragen vorhergesagt. Igor Matkovic (Olano) wurde gebeten, die zukünftige Koalition zu bilden. Er schloss sofort aus, die SMER-SD damit in Verbindung zu bringen, obwohl Peter Pellegrini schon einen Wink mit dem Zaunpfahl gab und sagte: "Wir verhandeln nicht mit der Mafia".

Andererseits ist die slowakische Presse der Ansicht, dass er sich mit mindestens zwei Partnern, dem SaS und "Für das Volk", verbünden könnte. Diese Drei-Parteien-Koalition hätte 78 Sitze, drei mehr als die absolute Mehrheit. Diese beiden Parteien sind zwar eindeutig rechtsgerichtet, aber die SaS ist ultra-liberal, eher "euroskeptisch" und für eine gesellschaftliche Liberalisierung – genau das Gegenteil von "Für das Volk", der Partei von Herrn Kiska, die sehr pro-europäisch, aber konservativ in Bezug auf Moral ist. Beobachter weisen auch auf einen wahrscheinlichen vierten Partner hin: die SME-Rodina-Partei, die der EU ziemlich feindlich gesinnt ist und "traditionalistische" Werte vertritt.

Am Abend seines Triumphs wollte der zukünftige Premierminister Brüssel versprechen, dass die Slowakei gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit kämpfen wird – also implizit: nicht wie die Nachbarn der Visegrad-Gruppe (Tschechien, Ungarn, Polen).

Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass die europäischen Spitzenleute durch diesen Übergang von einem "linkspopulistischen" Regierungschef zu einem "rechtspopulistischen" Nachfolger beruhigt werden, zumal letzterer das Land nicht zu einer einwanderungsfreundlichen Haltung verändern wird. Wenn Igor Matovic die Wahl auch geschickt gewonnen hat, weiß niemand, wie sich dieser Mann ohne Machterfahrung an der Spitze des Landes verhalten wird.

Die Slowakei könnte in Zukunft durchaus wirtschaftliche Rückschläge erleiden. Zwar hat die scheidende Regierung für 2019 ein Wachstum von 2,2 Prozent und eine offizielle Arbeitslosigkeit von 5 Prozent verzeichnet. Aber der amerikanische Konzern US Steel Corporation zum Beispiel kündigte im vergangenen Jahr an, dass er im Stahlwerk in Kosice (im Osten des Landes) ein Fünftel seiner Belegschaft (12.000 Mitarbeiter) abbauen werde.

Vor allem: fast die Hälfte des BIP des Landes konzentriert sich auf die Automobilindustrie, nachdem Volkswagen, PSA und viele andere massiv Arbeitsplätze aus Westeuropa dorthin verlagert haben. Und dieser Sektor ist jetzt insbesondere durch die von der EU festgelegten Umweltauflagen und -normen bedroht, was in den kommenden Jahren zu einem starken Beschäftigungsrückgang führen könnte.

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