NATO-Bomben im Jugoslawien-Krieg: Verspätete Gerechtigkeit gegen den "Barmherzigen Engel"
von Marinko Učur, Belgrad
Mussten tatsächlich seit den NATO-Bombenangriffen auf die ehemalige Bundesrepublik Jugoslawien (SRJ) 19 Jahre vergehen, damit endlich die Frage nach der Haftung und Bestrafung derjenigen öffentlich gestellt wird, die ohne eine Genehmigung der Vereinten Nationen 78 Tage lang zivile und militärische Ziele in diesem Land angegriffen und dadurch Bürger dieses Landes ermordet haben?
Das ist eine Frage, auf die Juristen, Politiker, Anwälte, vor allem aber jene Bürger eine Antwort suchen, die während der ungestraften NATO-Verbrechen ihre Familienangehörigen verloren haben oder auf eine andere Weise die Wirkung des "Barmherzigen Engels" durchlebt haben - wie das westliche Militärbündnis diese Militäroperation zynisch benannt hat. Im Zuge dieser wurden Schätzungen zufolge etwa 400.000 Projektile und einem NATO-Geständnis zufolge bis zu 30.000 Bomben mit abgereichertem Uran auf Jugoslawien abgefeuert. Durch die Bombenangriffe sind 2.500 Menschen, vor allem Zivilisten, ums Leben gekommen.
Für dieses Verbrechen wurde natürlich noch niemand zur Rechenschaft gezogen. Einige unermüdliche Aktivisten haben jedoch ihre Absicht nicht aufgegeben, Gerechtigkeit vor den höchsten Instanzen und Regierungen jener Staaten zu suchen, die diese Militärkampagne geführt hatten. Immerhin hat diese Serbien um die 100 Milliarden US-Dollar an Schaden verursacht und das Land hat sich immer noch nicht davon erholt.
Eine neue Generation bereits volljähriger Menschen ist herangewachsen, die sich kaum an diese Ereignisse, bei denen ihre Väter, Brüder, Verwandten und Freunde ums Leben kamen, erinnern können. Nur hier und da können Grund- und Mittelschüler in einigen Schulbüchern die Darstellung über ein unilaterales NATO-Verbrechen gegen ihr Land lesen, welches einer der Gründerstaaten der UNO war. Aber um es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, haben sich Einzelpersonen - Universitätsprofessoren, Juristen und Anwälte - bemüht und beschlossen, das Verbrechen beim richtigen Namen zu nennen und Gerechtigkeit zu fordern, sei es auch mit Verspätung.
Keine Sammelklage, sondern konkrete Einzelfälle sollen vor Gericht kommen
In diesem Zusammenhang wurde der Verein "Abgereichertes Uran" gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Verbindung zwischen dem abgereicherten Uran in den NATO-Bomben und den häufiger werdenden Krebserkrankungen in der Bevölkerung nachzuweisen.
Der Präsident des Vereins, Universitätsprofessor Sreto Nogo, kündigt für diesen Herbst an, die ersten Einzelklagen serbischer Bürger gegen betreffende NATO-Mitgliedsstaaten einzureichen. Nogo betont ausdrücklich, dass keine kollektiven, sondern nur einzelne Klagen eingeleitet werden, und dass die Kläger die an Krebs Erkrankten selbst sowie Familienmitglieder der erkrankten und mittlerweile verstorbenen Bürger sein werden, bei denen Krebs diagnostiziert wurde.
Wir werden einige NATO-Mitgliedsstaaten auf den Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden verklagen, und bald werden wir offenlegen, welche Staaten das sein werden", so Professor Nogo gegenüber RT.
Dabei fügte er hinzu, dass in den kommenden Monaten Arbeitsgruppen gegründet würden, die die Klagen verfassen sollen, und er betonte, dass hinter diesem "Projekt" die Rechtsanwaltskammer Serbiens und die Rechtsanwaltskammern der beiden größten serbischen Städte stehen, nämlich die von Belgrad und die von Niš. Es gebe mehrere Krebspatienten, sogar Babys, die an Krebs erkrankt seien.
Wir erkennen keine 'höhere Gewalt' an, und als Intellektuelle haben wir kein Recht, darüber zu schweigen", unterstreicht Sreto Noto energisch.
Diejenigen, die an einen positiven Ausgang dieses Verfahrens glauben, weisen auf ein Beispiel aus Italien hin, wo bereits ein Gericht einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem abgereicherten Uran und der Erkrankung von Soldaten bekräftigt hatte, die sich auf dem bombardierten Gebiet in der serbischen Provinzen Kosovo und Metochien aufgehalten hatten.
Die italienische Regierung musste in weiterer Folge den an Krebs erkrankten Soldaten sowie den Familien der bereits verstorbenen nach einem rechtskräftigen Urteil Schadenersatz in Höhe von 200.000 bis 500.000 Euro auszahlen, und die Bürger Serbiens werden die gleiche Höhe an Entschädigung beantragen.
Anspruchsgrundlage unterscheidet sich von italienischem Fall
Es gibt aber auch solche, die nur mit zurückhaltendem Optimismus über den Ausgang dieses Prozesses sprechen, auf den schon zwei Jahrzehnte gewartet wird. Einer von ihnen ist der Belgrader Anwalt Dušan Bratić, der ebenfalls an diesem Prozess teilnimmt, aber in einer Aussage für RT betont:
Die Einleitung von Gerichtsverfahren seitens der Opfer gegen NATO-Mitgliedsstaaten, deren Luftwaffen während der Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien Projektile mit abgereichertem Uran benutzt hatten, ist eine humane Idee, weshalb ich den Aufruf, zusammen mit anderen Kollegen pro bono potenzielle Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, angenommen habe. Diese Idee wurde erst jüngst ins Leben gerufen und ihre Verwirklichung selbst ist ein umfangreiches und sehr anspruchsvolles Unterfangen. Um in diesem Fall erfolgreich zu sein, genügt es nämlich nicht, dass in der medizinischen Wissenschaft und Praxis ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den abgefeuerten Projektilen mit abgereichertem Uran und der jeweiligen Krankheit der Opfer festgestellt wird. Es muss nachgewiesen werden, dass die Luftwaffe des jeweiligen beklagten Staates zur fraglichen Zeit in der Zone, in der später diese Krankheit aufgetaucht ist, operiert und Projektile mit abgereichertem Uran abgefeuert hatte. Auch wenn das nicht ausgeschlossen ist, wird es nicht bei jedem Einzelfall eindeutig sein. Die Klagen werden also nur dann erhoben, wenn die Sachlage eine zuverlässige Grundlage dafür bietet. In diesem Fall wird der Entwurf des Klagebegehrens zusammen mit den vorhandenen Beweismitteln an die engagierten Kollegen im Angreiferstaat zur Einreichung und weiteren Vertretung zugestellt. Die infolge der Klagen der während ihrer Dienstzeit in Kosovo und Metochien aufgrund der Wirkung des abgereichteren Urans erkrankten Soldaten gefällten rechtskräftigen italienischen Gerichtsurteile stellen einen Ansporn dar, aber diese basieren auf einer anderen unerlaubten Handlung. Es ging dort darum, dass Italien verpflichtet wurde, die Schäden zu kompensieren, die dadurch entstanden, dass es Soldaten in den Kosovo geschickt hat und nicht dadurch, dass es Projektile mit abgereichertem Uran abgefeuert hat.
Über das Verfahren äußerten sich auch Vertreter aus dem Bereich der Medizin. Dr. Danica Grujičić, Leiterin für Neuroonkologie am Klinikum Serbiens und Professorin an der Belgrader Medizinischen Fakultät, ist die prominenteste Persönlichkeit in diesem Fachbereich, die das abgereicherte Uran unmittelbar mit der erhöhten Zahl an Krebstoten in Verbindung bringt und Daten auslegt, wonach die Zahl der Erkrankten in Serbien um 2,4 Mal höher ist als der Weltdurchschnitt.
Weiter warten auf konkrete Initiativen des serbischen Parlaments
Die NATO und einige westliche Regierungen argumentieren, dass abgereichertes Uran keine nachteiligen Folgen nach sich ziehe, während Ärzte und andere Experten auf eine erhöhte Anzahl an bösartigen Tumoren hinweisen.
Den verfügbaren Informationen zufolge wurde Munition mit abgereichertem Uran während des Krieges von 1999 in mindestens 112 Fällen verwendet, hauptsächlich auf dem Gebiet der Provinzen Kosovo und Metochien, in Peć, Prizren und Đakovica. Kleinere Mengen an Munition dieser Art wurden auch bei den Angriffen von US-Bombern in der Nähe von Vranje, Preševo und Bujanovac sowie nahe einem Ort in Montenegro verwendet. Bomben mit Uran wurden italienischen Behauptungen zufolge von amerikanischen A-10-Kampfflugzeugen und von Helikoptern des Typs Apache abgeworfen.
Während eines vor kurzem abgehaltenen Symposiums über die Problematik des Bombardements von Niš mit abgereichertem Uran legte der italienische Pilot Domenico Leggiero fundierte Daten dar, die belegen sollen, dass
bisher 350 italienische Soldaten an den Folgen des Einatmens von abgereichertem Uran im Kosovo und in Metochien gestorben und weitere 7.500 der damaligen Soldaten an Krebs erkrankt sind, weil sie diesem tödlichen chemischen Element ausgesetzt waren.
Das offizielle Serbien hat immer noch keine staatliche Kommission gegründet, die sich mit diesem Thema befassen würde, obwohl deren Bildung im serbischen Parlament vor kurzem als realistische Möglichkeit und gleichzeitig als Zeichen einer Bereitschaft des Staates zur Suche nach Gerechtigkeit, und sei es auch einer verspäteten, angekündigt wurde.
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