Europa

Raketenangriff auf Tschaplino: Was stimmt und was stimmt nicht in der Darstellung des Westens?

Kiew beschuldigt Russland eines Raketenangriffes auf eine Eisenbahnstation mit vielen Toten und verspricht Rache. Russland bestätigt den Beschuss, liefert aber eine ganz andere Darstellung: Der Schlag habe Reservisten und Militärfahrzeugen gegolten.
Raketenangriff auf Tschaplino: Was stimmt und was stimmt nicht in der Darstellung des Westens?Quelle: AFP © Ukrainische Eisenbahn

Von Wladislaw Sankin

Am Mittwoch ging eine weitere Meldung aus der Ukraine um die Welt – Russland habe eine Eisenbahnstation in Tschaplino im Gebiet Dnjepropetrowsk beschossen. Bei dem Angriff seien 25 Menschen getötet und 31 verletzt worden.  "Nach ihrem Unabhängigkeitstag trauert die Ukraine um die vielen Todesopfer eines russischen Raketenangriffs auf einen Personenzug", meldete die Tagesschau

"Unter den Todesopfern seien fünf Menschen, die in ihrem Wagen verbrannt seien. Ferner befand sich unter den Todesopfern nach Selenskijs Angaben ein elfjähriger Junge. Er sei in seinem Haus gestorben, das von einer russischen Rakete zerstört worden sei", so die Meldung weiter. 

Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, erklärte, die EU verurteile diesen weiteren "abscheulichen Angriff auf Zivilisten". Diejenigen, die für den russischen Beschuss verantwortlich seien, würden zur Rechenschaft gezogen.

Einige deutsche Medien brachten den Angriff mit dem Raketenschlag auf den Bahnhof in Kramatorsk im April Verbindung, bei dem 56 Personen starben, obwohl sie nachweislich von einer ukrainischen Totschka-U-Rakete getötet wurden. In einem Video am Donnerstag zeigte die Tagesschau einen trauernden Vater, dessen Sohn auf einem Trümmerhaufen lag, eingewickelt in eine Decke. 

Am Donnerstag bestätigte das russische Verteidigungsministerium den Angriff, dieser habe jedoch einem Militärtransport gegolten:

"Als Ergebnis eines direkten Treffers einer Iskander-Rakete auf einen Militärzug auf der Station Tschaplino im Gebiet Dnjepropetrowsk wurden über zweihundert Reservisten der ukrainischen Streitkräfte getötet und zehn Militärfahrzeuge zerstört, die auf dem Weg ins Kampfgebiet im Donbass waren."

Welche Darstellung stimmt? Sind die jüngsten Vorwürfe Kiews in diesem Fall begründet, Russland führe einen terroristischen Krieg gegen Zivilisten und müsste deshalb als Terrorstaat international geächtet werden? Oder stimmt es, dass der Schlag ukrainischem Militär gegolten hat? 

Obwohl der Fall noch am selben Tag bei hohen internationalen Gremien zum Thema wurde, gibt es jedoch äußerst wenig Foto- und Videomaterial, die die Darstellung Kiews über 25 Todesopfer des Angriffs stützen würden. Sowohl die Ukraine als auch westliche Bildagenturen zeigten nur wenige Aufnahmen von ausgebrannten Eisenbahnwaggons, einem ausgebrannten Autowrack und einigen zerstörten Kleinbauten.

Zu sehen war zudem ein trauernder Mann, der erzählte, dass sein Sohn durch eine Druckwelle gestorben ist. Und in einem Tagesschau-Beitrag kam eine Beamtin einer regionalen Gesundheitsbehörde zu Wort, sie schilderte Verletzungen der Zivilisten, spricht aber nicht über die Toten. 

Man kann anhand dieser Informationen mit Sicherheit sagen, dass unter den Opfern tatsächlich ein Junge war und mehrere Kinder verletzt wurden. Wären 25 Zivilisten ums Leben gekommen, hätte man jedoch weit mehr emotional geladene Informationen wie Zeugenaussagen, Aufnahmen von Bergungs- und Rettungsaktionen und so weiter erwartet

Dass es diese nicht gibt, sollte nicht verwundern, denn die Eisenbahnstation Tschaplino befindet sich nur wenige Dutzend Kilometer vom Kriegsgebiet entfernt. Außerdem ist das Fotografieren von Soldaten und Militärobjekten in der Ukraine ohnehin strengstens untersagt. Offenbar befand sich etwas am Ort des Beschusses, was nicht gezeigt werden durfte. Fast alle Bilder sind erst mehrere Stunden nach dem Beschuss entstanden, nachdem das Feuer gelöscht wurde. 

Doch in das Internet waren einige aufschlussreiche Bilder durchgesickert. So zeigte der lokale proukrainische Telegram-Kanal Kurachowo-Selodowo-Pokrowsk in einem Kameraschwenk zwei auf Parallelgleisen stehende Züge auf einem Bahndamm. Ein Zug davor bestand aus nicht zerstörten, offenen Güterwaggons. Es war deutlich zu sehen, dass offene Waggons teilweise mit Fahrzeugen in Tarnfarben beladen wurden. Das gesamte Video dauerte nur acht Sekunden. 

Nachdem das Video von russischen Medien aufgegriffen worden ist, "korrigierte" der ukrainische Kanal das Material und löschte die nur zwei Sekunden dauernde Sequenz. Zu dem Zeitpunkt, als die ukrainische Eisenbahn das Fotografieren der ausgebrannten Personenwaggons erlaubte, war der Güterzug bereits von der Stelle entfernt worden. 

Die Blickwinkel aller anderen in den Medien verbreiteten Bilder wurden absichtlich so gewählt, dass nichts Ungewöhnliches auszumachen war. Abgesehen von den Aufnahmen des Jungen waren keine Verletzten oder Todesopfer zu sehen. Wäre ein ziviler Zug getroffen worden, wären die sozialen Medien und Nachrichtenagenturen mit Bildern von verbluteten Leichen, zerschossenen Koffern und weiteren Zerstörungen überschwemmt worden, so wie dies auf dem Bahnhof in Kramatorsk der Fall war.

Russische Medien zitierten diesbezüglich einige Telegram-Nutzer, die berichten, dass an der Station Tschaplino nur eine Vorortbahn, die sogenannte Elektritschka, einige Male am Tag hält. Die gezeigten Waggons seien jedoch von den Fernzügen. Ansonsten werde die Strecke aktiv militärisch genutzt. 

Fazit: Die vorliegenden spärlichen Informationen lassen wenig Raum für ein bestätigtes Urteil, es kann nur vermutet werden: Offenbar schlugen in Tschaplino mehrere Präzisionswaffen ein. Zumindest eine davon verfehlte das Ziel unmittelbar (ein Krater ist zu sehen) und zerstörte einige Einfamilienhäuser. Ein elfjähriger Junge und eventuell weitere Zivilisten starben und wurden verletzt.

Dass alle Opfer des Beschusses Zivilisten waren, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Das behauptete nicht einmal die ukrainische Seite, als sie beispielsweise in einem Tweet des Verteidigungsministeriums mitteilte, dass 22 Menschen getötet worden seien. Die Rede ist weder von Zivilisten noch von Soldaten. Das legt den Schluss nahe, dass die meisten der gemeldeten Opfer Soldaten sein könnten. In den ukrainischen Medien tauchen inzwischen Trauermeldungen über an der Station Tschaplino getötete Soldaten auf.  

Daraus ergibt sich, dass die Äußerungen des russischen Militärs, dass das Ziel der Raketenschläge ein Militärtransport gewesen sei, höchstwahrscheinlich der Wahrheit entsprechen. Als Beweis können die Bilder der Militärfahrzeuge auf einem separat stehenden offenen Zug dienen. Allerdings scheint die Zahl von 200 getöteten ukrainischen Militärangehörigen weit übertrieben zu sein. Dafür erscheint die Atmosphäre in der beschossenen Stadt auf den vorliegenden Foto- und Videoaufnahmen zu ruhig. Die Bergung, Behandlung und Unterbringung von so vielen Toten und Verletzten wäre für ein Provinzstädtchen wie Tschaplino eine enorme logistische Anstrengung gewesen.

Offenbar ging das russische Militär von einer maximal möglichen Zahl der Toten aus, wenn man bedenkt, dass jeder Personenwaggon als Schlafwaggon bis zu 56 Menschen beherbergen kann. Ukrainischem Videomaterial zufolge, das später veröffentlicht wurde, sind mindestens fünf Waggons vollständig zerstört worden. Der russische Militäranalyst Boris Roschin hält die Zahlenangaben des Verteidigungsministeriums deshalb für realistisch. "Die Waggons waren mit Reservisten beladen, von denen die meisten sofort starben", schrieb er auf seinem Telegram-Kanal. 

Die Meldung der Tagesschau und anderer deutscher Medien, der russische Angriff habe einem Personenzug gegolten, ist angesichts dieser Informationen zumindest irreführend: Sie suggerierte, dass sich in den Waggons mutmaßlich Zivilisten aufgehalten hätten, in Wirklichkeit waren es mit großer Wahrscheinlichkeit Soldaten.

Ukraine kritisiert UNO für Nichtparteinahme

Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe in der Ukraine, Denise Brown, zeigte sich "zutiefst schockiert", dass in der Ukraine nach wie vor Kinder sterben – "dort, wo sie sich in Sicherheit fühlen müssten". In einer Erklärung, die unter anderem den Raketenschlägen auf die Eisenbahnstation Tschaplino gewidmet war, rief sie "alle Seiten" dazu auf, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren und Sicherheit der Zivilisten zu gewährleisten.

"Sie hat sich jedoch nicht dazu geäußert, wer genau für die Tötung der ukrainischen Zivilisten verantwortlich ist", kritisierten ukrainische Medien Browne für die aus ihrer Sicht zu allgemein gehaltene Stellungnahme. 

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