Europa

Sonderrechte für "Verwandte": Polen könnten in der Ukraine bald wichtige Ämter bekleiden

Die Ukraine will künftig polnischen Bürgern "Sonderrechte" gewähren und die Grenze zwischen beiden Ländern de facto abschaffen. Präsidenten beider Staaten beschwören Einigkeit der beiden Völker: "Zusammen sind wir 80 Millionen."
Sonderrechte für "Verwandte": Polen könnten in der Ukraine bald wichtige Ämter bekleiden© Werchowna Rada

Am Sonntag stattete der polnische Präsident Andrzej Duda Kiew einen Überraschungsbesuch ab und trat im ukrainischen Parlament mit einer halbstündigen Rede auf. Das war die erste Rede, die ein ausländischer Staats- oder Regierungschef in den Räumen der Werchowna Rada seit Beginn des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine am 24. Februar hielt.

Bei seinem Auftritt, der immer wieder von frenetischem Applaus unterbrochen wurde, lobte er die Ukraine mehrfach für das "Heldentum" im Widerstand gegen den "barbarischen russischen Angriff". Der Krieg habe aber nicht nur "Böses" hervorgebracht, sondern auch etwas Gutes – die Annäherung zwischen Polen und der Ukraine. Diese sei eine "historische Chance":

"Der historische Punkt ist, dass die Ukraine und Polen als zwei eng verwandte Völker dieses Teils von Europa heute eine unglaubliche politische Chance haben. Wladimir, Sie haben selbst gesagt, dass wir zusammen mehr als 80 Millionen sind und dass wir zusammen stärker sind. Wir dürfen uns diese Chance nicht entgehen lassen."

Nach dieser Rede kündigte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij einen Gesetzentwurf an, der polnischen Bürgern einen Sonderstatus gewähren soll. Sein Vorhaben begründete er mit einem ähnlichen Gesetz in Polen, durch das den ukrainischen Flüchtlingen zahlreiche Rechte in dem EU-Land erteilt worden waren.  

Darüber hinaus stellte Selenskij ein bilaterales Abkommen über den vereinfachten Grenzverkehr mit Polen in Aussicht. Wie sein polnischer Kollege verwies auch er auf die Verwandtschaft der beiden Völker, die vor dem Hintergrund des Krieges noch enger geworden sei.

"Zwischen uns soll es keine Grenzen geben. Zwischen dem ukrainischen und dem polnischen Volk gibt es schon seit Langem keine mentalen Barrieren."

Zunächst werde es ein bilaterales Abkommen über die gemeinsame Grenz- und Zollkontrolle geben. Nach dem Beitritt der Ukraine zur EU werde es nur eine rein formelle Grenze geben. Wie Selenskij in seiner abendlichen Videoansprache an die ukrainischen Bürger am Sonntag erklärte, sei das Vorhaben eine "historische Errungenschaft unserer Völker", es zeigt, dass Ukrainer und Polen "verwandt und gleichberechtigt" seien.

"Ich wünsche mir, dass Brüderschaft zwischen Ukrainern und Polen für immer bleibt. Auch soll die Würde und Einigkeit der Ukrainer und Polen eine konstante Größe werden, die niemand erschüttern kann." Dies sei ein Element der neuen ukrainischen Nachbarschaftspolitik.

Nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen bedienten sich die beiden Staatschefs fast wortgleicher Rhetorik. Es wird "in Zukunft keine Grenzen mehr zwischen Polen und der Ukraine geben" und die Bürger der beiden Staaten werden "gemeinsam auf diesem Land leben können", hatte etwa Duda in einer Rede anlässlich des Tages der polnischen Diaspora am 5. Mai im Belvedere-Palast in Warschau gesagt, wie ukrainischen Medien berichteten.

Polen und Ukrainer würden "ihr gemeinsames Glück und ihre gemeinsame Stärke aufbauen und verteidigen". Damit, so fügte der Präsident hinzu, könne man alle Gefahren und Bedrohungen abwehren.

Welche Rechte die polnischen Bürger konkret in der Ukraine bekommen könnten, bleibt zunächst unklar. In "informierten Kreisen" gibt er aber Spekulationen, dass Polen künftig Ämter in der ukrainischen Verwaltung, Unternehmen der Verteidigungsindustrie und Sicherheitsorganen übernehmen könnten. Auch Patrouillen polnischer Polizei in der Ukraine seien möglich, schreiben einige Telegram-Kanäle.

Einen Nährboden für solche Annahmen bietet das Pressebüro des ukrainischen Präsidenten selbst, als Selenskijs Pressesprecher Sergei Nikiforow betonte, dass in Polen Ukrainer mit polnischen Bürgern praktisch gleichgestellt seien.

"Man sollte das Gesetz beachten, das in Polen für vorübergehend aus der Ukraine vertriebene Personen verabschiedet wurde und das ukrainische Bürger polnischen Bürgern faktisch gleichstellt, allerdings ohne das Wahlrecht. Dementsprechend wird die Ukraine, sagen wir mal, ein ähnliches Gesetz auf Initiative von Präsident Selenskij verabschieden", sagte Nikiforow.

Die Reaktionen auf die Initiative fielen in Russland erwartungsgemäß sehr kritisch aus. Aus Sicht der Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa gibt Kiew seine Souveränität damit freiwillig auf.

"Unter dem Vorwand, die eigene Identität zu bewahren, hat das Kiewer Regime diese acht Jahre lang zerstört, indem es auf die eigene Bevölkerung schoss, und nun tut es etwas noch nie Dagewesenes - es legalisiert die faktische Beschlagnahmung seines Landes", schrieb sie auf ihrem Telegram-Kanal.

Der Osteuropa-Expere der Russischen Akademie der Wissenschaften Nikolai Meschewitsch wies in seinem Kommentar für den russischen Fernsehsender 360 auf die mangelnde historische Bildung des ukrainischen Präsidenten hin.

"Schließlich ist all dies bereits geschehen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts verlief die Grenze entlang des Dnjepr, und Kiew war eine Grenzstadt, die den Polen gehörte. Lesen Sie Schewtschenko, Gogol, Kostomarow, man kann nicht nur die Anweisungen der amerikanischen Botschaft lesen", bemerkte der Professor.

Er fügte hinzu, dass die Ukraine heute zum Spielball der polnischen Kräfte wird. Vor allem auf dem Gebiet der West- und möglicherweise der Zentralukraine übernähmen die Polen zunehmend die Funktion der leitenden Kuratoren (старшие управляющие).

Nach Angaben des Chefs des russischen Geheimdienstes Sergei Naryschkin arbeitet Polen zusammen mit den USA an einem Plan, der die Kontrolle Polens über seine "historischen Besitztümer" in der Ukraine ermöglichen könnte. Naryschkin erklärte:

"Nach Informationen, die der russische Auslandsgeheimdienst erhielt, arbeiten Washington und Warschau an Plänen, um eine dichte militärpolitische Kontrolle Polens über 'seine historischen Besitztümer' in der Ukraine zu etablieren."

Laut vorläufigen Vereinbarungen werde die Mission ohne NATO-Mandat stattfinden, aber unter Beteiligung "williger" Staaten, teilte Naryschkin am 15. Mai mit. Derzeit würden die Modalitäten des bevorstehenden Einsatzes mit der Verwaltung des US-Präsidenten besprochen.

Am 15. März hatte ausgerechnet der stellvertretende Ministerpräsident Polens und Chef der Regierungspartei PiS Jarosław Kaczyński die Möglichkeit einer NATO-Friedensmission in der Ukraine ins Gespräch gebracht. Es ist ebenso anzumerken, dass am 21. März CIA-Chef William Burns Warschau besucht und sich mit Duda getroffen hatte.

Mehr zum Thema - Polnischer Minister will "bewaffnete NATO-Friedensmission" in der Ukraine

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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.