Nahost

Israel gegen die Hisbollah: Ein neuer Krieg würde den gesamten Nahen Osten in Brand setzen

Die Hisbollah verbindet eine lange und blutige Geschichte mit Israel. Nun könnte das Schreckgespenst eines umfassenden Krieges in der Region Realität werden und der gesamte Nahe Osten in Flammen aufgehen. Und niemand kann die Folgen abschätzen oder vorhersehen.
Israel gegen die Hisbollah: Ein neuer Krieg würde den gesamten Nahen Osten in Brand setzen© Reynaldo C. Paganelli / Globe Photos

Von Murad Sadygzade

Seit der Eskalation des palästinensisch-israelischen Konflikts und dem Beginn der israelischen Bodenoperation in Gaza wurde wiederholt berichtet, dass einer der potenziellen Teilnehmer einer offenen Konfrontation mit Israel die libanesische schiitische paramilitärische Gruppierung und politische Partei Hisbollah sein könnte. Bereits im vergangenen Januar gab es noch Aussagen von Offiziellen mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Zusammenstoßes zwischen der Hisbollah und Israel an der Nordgrenze des jüdischen Staates.

So erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 8. Januar, sein Land sei bereit, gegen die Hisbollah in den Krieg zu ziehen. Allerdings sei er nach wie vor der Meinung, dass es besser sei, den Konflikt friedlich beizulegen. Netanjahu gab diese Erklärung nach einem Besuch in Kirjat Schmona ab, einer Stadt im Norden von Israel an der Grenze zum Libanon, nachdem diese von einer Rakete der Hisbollah beschossen worden war. Diese Gegend wird regelmäßig von der Hisbollah beschossen. Am 17. Januar verkündete der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte (IDF), Herzi Halewi, dass die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Militäroperation im Libanon drastisch gestiegen sei.

"Ich weiß nicht, wann es im Norden zu einem Krieg kommen wird. Was ich sagen kann ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dies in den kommenden Monaten geschieht, jetzt wesentlich höher ist als in der Vergangenheit", zitierte ihn die Times of Israel. Halewi gab diese Erklärung ab, als er mit Soldaten zusammentraf, die nahe der Grenze zum Libanon eine Offensive ins Nachbarland übten.

Tatsächlich wurde eine militärische Konzentration Israels an seiner Nordgrenze bestätigt. Laut dem US TV-Sender ABC News hat Israel dort zehntausende reguläre Soldaten und etwa 60.000 Reservisten zusammengezogen. Zudem verkündete der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant, dass israelische Truppen schon sehr bald in Feindseligkeiten entlang der Grenze zum Libanon verwickelt sein könnten. Wann genau dies geschehen könnte, erwähnte er jedoch nicht.

Doch um zu verstehen, warum die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah zunimmt, sollten wir uns mit der Entstehungsgeschichte dieser schiitischen Gruppierung und ihrem Spannungsfeld mit Israel befassen.

Die Entstehung der Hisbollah

Die Hisbollah, oder auf Arabisch "Die Partei Allahs", ist eine schiitische Organisation, die im Libanon politisch tätig ist und über einen starken militärischen Arm verfügt. Sie wurde 1982 als Reaktion auf die israelische Invasion in den Südlibanon gegründet, die eine Episode im 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg darstellte, der 1990 endete.

Die Hisbollah wurde ursprünglich als paramilitärische Organisation gegründet, um die schiitische Bevölkerung des Libanon vor der israelischen Aggression zu schützen. Im Laufe der Zeit hat sie sich jedoch zu einer einflussreichen politischen Bewegung entwickelt, die eine wichtige Rolle im libanesischen politischen Leben spielt. Mehrere Faktoren trugen zur Entstehung der Hisbollah bei.

Der wichtigste Faktor war die wachsende antiisraelische Stimmung im Libanon. In den 1970er Jahren verschärfte sich im Libanon der Konflikt zwischen verschiedenen religiösen und politischen Gruppen. Einer der zentralen Konflikte war das palästinensisch-israelische Problem. Der Libanon wurde zu einem Zufluchtsort für hunderttausende palästinensische Flüchtlinge, die mit der lokalen Bevölkerung in Konflikt gerieten. Im Jahr 1982 marschierte Israel in den Südlibanon ein, um palästinensische Flüchtlingslager aufzureiben und antiisraelische Aktivitäten zu unterdrücken. Dieses Ereignis löste große Wut unter den libanesischen Schiiten aus, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung im Südlibanon ausmachen.

Im Libanon herrscht ein politisches Gleichgewicht, wobei die Macht auf die drei wichtigsten Religionsgruppen verteilt ist: Auf maronitische Christen sowie auf sunnitische und schiitische Muslime. Die Schiiten, die etwa 40 Prozent der libanesischen Bevölkerung ausmachen, fühlten sich im politischen und wirtschaftlichen Leben des Landes unterrepräsentiert.

Im Jahr 1982 schloss sich eine Gruppe schiitischer Aktivisten zusammen, die sich gegen die israelische Besetzung des Südlibanon auflehnte. Dies geschah unter der Führung von Imam Mohammed Hussein Fadlallah, Hassan Nasrallah, dem derzeitigen Generalsekretär der Hisbollah, und Ibrahim Amin, dem ehemaligen libanesischen Verteidigungsminister. Heute ist die Hisbollah eine der einflussreichsten politischen Kräfte im Libanon, mit Vertretung im libanesischen Parlament und Kontrolle über eine Reihe wichtiger Ministerien. Die Hisbollah ist zudem eine der mächtigsten paramilitärischen Gruppierungen des Landes. Sie verfügt über eine bedeutende Streitmacht, zu der die reguläre libanesische Armee, Spezialeinheiten und Kräfte der Volksverteidigung gehören.

Die Hauptmacht der Hisbollah bilden ihre Kampfeinheiten, die aus gut ausgebildeten und motivierten Kämpfern bestehen. Sie verfügen über umfassende Fähigkeiten in Taktiken des Guerillakriegs und des Kampfes im urbanen Umfeld. Dies macht die Hisbollah zu einem gefährlichen Gegner. Darüber hinaus verfügt die Hisbollah über ein bedeutendes Waffenarsenal, das Mittel- und Langstreckenraketen sowie Drohnen umfasst. Dies verleiht der Hisbollah die Fähigkeit, von libanesischem Territorium aus Ziele in Israel und in andere benachbarte Länder der Region anzugreifen.

Die Organisation ist ein einflussreicher Akteur in der Region und unterhält enge Beziehungen zu Iran und Syrien. Durch die Unterstützung der Regierung von Baschar al-Assad hat die Hisbollah eine wichtige Rolle im Syrienkonflikt übernommen. Als eine der mächtigsten und einflussreichsten schiitischen Organisationen der Welt spielt sie eine wichtige Rolle im politischen und militärischen Leben des Libanon und der Region. Die Hisbollah bleibt dennoch Gegenstand heftiger Kontroversen. Ihre Anhänger halten sie für eine heroische Organisation, die für den Schutz des Libanon und der Palästinenser kämpft, während ihre Gegner der Organisation Terrorismus und die Destabilisierung der Region vorwerfen. Die Hisbollah hat einen bewaffneten Kampf gegen Israel geführt und wiederholt israelisches Territorium angegriffen, dabei Raketen abgefeuert, militärische Ziele getroffen und israelische Zivilisten getötet. Die Organisation unterstützt zudem den palästinensischen Widerstand im Gazastreifen.

Schwierige Beziehung: Zur Fehde geboren

Die Beziehungen zwischen Israel und der Hisbollah sind seit Jahrzehnten angespannt, Dies führte häufig zu bewaffneten Konflikten. Diese Konflikte entwickelten sich, wie oben erwähnt, nach der Gründung der Hisbollah in den frühen 1980er Jahren und umfasst im Großen und Ganzen die politische, militärische und wirtschaftliche Sphäre.

Die Wurzeln der Konfrontation lassen sich bis zum ersten arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1948 und später bis zur israelischen Besetzung des Südlibanon im Jahr 1982 zurückverfolgen. Die Hisbollah entstand als Reaktion auf den israelischen Einfluss im Libanon und die Unterdrückung der schiitischen Bevölkerung des Landes. Die Hisbollah entwickelte sich rasch zu einer wichtigen politischen und militärischen Kraft im Libanon und präsentierte sich sowohl als Opposition als auch als Widerstand gegen Israel.

Der bedeutendste Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah war der Krieg von 2006, auch bekannt als Zweiter Libanonkrieg, der am 12. Juli 2006 begann und bis zur Verabschiedung einer Resolution des UN-Sicherheitsrates am 14. August desselben Jahres andauerte.

Der Hauptgrund für den Krieg war die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die Hisbollah und die anschließenden israelischen Militäreinsätze im Libanon zur Befreiung dieser Geiseln und zur Schwächung der Hisbollah. Die Hisbollah wiederum reagierte mit Raketenangriffen auf Israelis und mit offensiven Operationen im Norden von Israel. Der Krieg von 2006 war verheerend und hatte schwerwiegende Folgen für beide Konfliktparteien sowie für die libanesischen Bürger. Der libanesischen Infrastruktur, den zivilen Einrichtungen und der Industrie wurde erheblicher Schaden zugefügt, darunter an Flughäfen, Straßen, Brücken und Stromnetzen. Etwa 1.200 Libanesen, die meisten davon Zivilisten, kamen infolge des Krieges ums Leben.

Die Hisbollah ihrerseits feuerte mehr als 4.000 Raketen auf Israel ab, was zu Opfern und Schäden in israelischen Städten und Siedlungen führte. Etwa 160 israelische Soldaten und etwa 40 israelische Bürger kamen dabei ums Leben. Israel erlitt zudem erhebliche Verluste an Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und weiterer militärischer Ausrüstung.

Daraufhin wurde im Rahmen der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates ein Waffenstillstand vereinbart, der die Einstellung aller Militäroperationen, den Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon und die Wiederherstellung der Stabilität in der Region forderte. Im Rahmen dieser Resolution kamen UN-Friedenstruppen zum Einsatz, um den Waffenstillstand und die Bestimmungen des Abkommens zu überwachen.

Insgesamt blieben die Beziehungen zwischen Israel und der Hisbollah komplex und konfrontativ. Beide Seiten bekämpfen sich im Informationsraum und führen dabei Cyber-Angriffe gegeneinander. Es kommt aber auch hin und wieder zu einem Schlagabtausch mit Raketenbeschuss. Trotz der regelmäßigen Zusammenstöße und Spannungen wäre es denkbar, einen Weg zu einer diplomatischen Lösung zu finden, die es beiden Seiten ermöglichen würde, Frieden und Stabilität zu erreichen.

Wird es einen offenen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah geben?

Viele Analysten gehen davon aus, dass die Spannungen an der Nordgrenze Israels zunehmen werden. Diese Meinung ist bedingt durch die zunehmende Häufung von Zusammenstößen zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee, die seit Beginn des palästinensisch-israelischen Krieges, am 8. Oktober 2023, bereits zum Tod von mehr als 160 Mitgliedern der libanesischen Gruppierung geführt haben.

Seit den ersten Tagen der aktuellen Eskalation haben die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah zugenommen. Und bereits Ende Oktober dachten die politischen und militärischen Verantwortlichen Israels darüber nach, eine Militäraktion in Richtung Norden zu starten. Beispielsweise berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf seine Quellen, dass US-Präsident Joe Biden am 11. Oktober den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu davon überzeugt habe, wegen der Gefahr eines größeren Krieges in der Region keinen Präventivschlag gegen die Hisbollah zu starten.

An diesem Tag erhielt der israelische Geheimdienst Informationen über die Absicht der Hisbollah, aus mehreren Richtungen in Israel einzudringen; israelische Kampfflugzeuge waren bereits in der Luft und warteten auf den Befehl, die Gruppierung im Libanon anzugreifen. Laut den Quellen des Wall Street Journals dauerte es etwa sechs Stunden an Verhandlungen und informellen Absprachen, bis die israelische Regierung einlenkte.

Die Lage an der Grenze zwischen Israel und der Hisbollah bleibt jedoch angespannt, die Möglichkeit eines umfassenden Konflikts real. Dies wurde von israelischen Medien, unter Berufung auf Äußerungen des Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates, Zachi Ha-Negbi, auf einer nichtöffentlichen Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung der Knesset am 17. Januar bestätigt. Ha-Negbi soll dabei auch interessante Details zur Hamas vorgelegt haben.

Ihm zufolge hat der Hamas-Führer in Gaza, Yahya Sinwar, bei den Verhandlungen über den Geiselaustausch eine härtere Linie eingeschlagen. Dies habe den Prozess der Rückführung der 117 Menschen, die sich seit Oktober noch immer in Geiselhaft befinden, in die Länge gezogen. Ha-Negbi soll in seinen Ausführungen betont haben, dass die physische Beseitigung von Sinwar nach wie vor ein vordringliches Ziel der israelischen Sicherheitskräfte sei.

Allerdings haben weder Ha-Negbi noch andere israelische Persönlichkeiten konkrete Lösungen für eine langfristige Vereinbarung über Gaza angeboten. Das sei besorgniserregend, wie das Wall Street Journal unter Berufung auf Quellen im Weißen Haus feststellte. Die Zeitung behauptete, dass die Versuche gescheitert seien, Netanjahu davon zu überzeugen, einer Option zur Beendigung des Konflikts zuzustimmen, in der die Übergabe der Kontrolle über Gaza an die Palästinensische Autonomiebehörde mit eingeschlossen ist. Stattdessen beabsichtige Israel, eine längere militärische Operation gegen die Hamas durchzuführen.

Kürzlich trafen sich Unterhändler aus Israel, den USA, Ägypten und Katar in Paris und einigten sich auf die Grundlagen eines neuen Abkommens zur Freilassung der Geiseln. Dies berichtete NBC News am 29. Januar. Der Plan sieht die schrittweise Freilassung von Gefangenen vor, beginnend mit Frauen und Kindern. Israel würde seinerseits eine begrenzte Unterbrechung der Feindseligkeiten, die Zulassung humanitärer Hilfe sowie die Freilassung palästinensischer Gefangener anbieten. Dieser Plan wurde an die Vertreter der Hamas übermittelt.

Sollte es zu einer vorübergehenden Verringerung der Intensität der Kämpfe in Gaza kommen, wird die Kontroverse innerhalb Israels über die aktuelle Regierung von Benjamin Netanjahu eskalieren. Offensichtlich würde das Ende des Konflikts auch das Ende der politischen Karriere des Premierministers und anderer prominenter Persönlichkeiten bedeuten. Sogar Washington, Israels wichtigster Verbündeter, hat wiederholt erklärt, dass Netanjahu gehen müsse.

Niemand will einen größeren Krieg in der Region. Auch die Hisbollah, die eng mit dem Iran verbündet ist, möchte nicht, dass die Spannungen in einen offenen Krieg eskalieren. Dies zeigt sich in ihrer Zurückhaltung, sowohl in Äußerungen hochrangiger Offizieller, als auch in den nachlassenden Angriffen auf israelische Streitkräfte. Sollte sich Netanjahu jedoch dazu entschließen, eine Operation im Südlibanon zu lancieren, dann wird dieser Krieg langwierig und blutig werden. Vertreter der von Iran angeführten "Achse des Widerstands" werden der Hisbollah mit noch größerem Einsatz unterstützend zur Seite stehen. Dann wird das Schreckgespenst eines umfassenden Krieges Realität und der Nahe Osten wird in Flammen aufgehen. Und niemand kann die Folgen abschätzen oder vorhersehen.

Aus dem Englischen

Murad Sadygzade ist Präsident des Zentrums für Studien über den mittleren Osten und Gastdozent an der Moskauer Hochschule für Wirtschaft HSE.

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