Nahost

Nach Blutbad im Westjordanland: Israelischer Verteidigungsminister droht weitere Schläge an

Nach einem Austausch von Raketen und Luftangriffen, die auf den tödlichsten israelischen Angriff seit Jahrzehnten auf palästinensischem Gebiet folgten, verabschieden sich beide Seiten demonstrativ von Friedensvereinbarungen. Am Montag steht ein Besuch des US-Außenministers an.

Israel hat nach eigenen Angaben in der Nacht zum Freitag eine unterirdische Produktionsstätte für Militärraketen der Hamas im Gazastreifen mit Kampfflugzeugen angegriffen sowie weitere Luftangriffe durchgeführt und behauptet, der Einsatz sei eine Reaktion auf Raketen, die aus dem Gebiet abgefeuert wurden.

Dies geschah einen Tag nach dem tödlichsten israelischen Angriff seit Jahrzehnten auf palästinensischem Gebiet, der ein Wiederaufflammen der Kämpfe in Aussicht stellt. Palästinensische Beamte beschuldigten die israelischen Truppen eines "Massakers" im besetzten Westjordanland, woraufhin militante Gruppen Vergeltung ankündigten.

Nach einem begrenzten Austausch von palästinensischen Raketen und israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen in der Nacht wies der israelische Verteidigungsminister das Militär an, sich auf neue Angriffe im Gazastreifen vorzubereiten, "falls dies notwendig sein sollte". Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa haben israelische Kampfflugzeuge 15 Raketen auf eine Anlage im Flüchtlingslager al-Maghazi im Zentrum der Enklave abgefeuert, die Sachschäden verursachten und zu einem Stromausfall in dem Gebiet führten.

Israelische Kampfflugzeuge zerstörten demnach auch zwei weitere Anlagen im Norden und Südosten und setzten sie in Brand. Aus dem Gazastreifen waren Donnerstagabend fünf Raketen auf Israel abgefeuert worden, die laut Berichten keine Schäden anrichteten und niemanden trafen. Die Bombardierungen folgten auf eine Razzia israelischer Spezialeinheiten im Flüchtlingslager Dschenin im Westjordanland, die in ein Feuergefecht ausartete, bei dem zehn Palästinenser, darunter eine 61-jährige Frau, getötet und 20 weitere verwundet worden waren, vier davon schwer.

Laut den israelischen Streitkräften (IDF) sei die Operation dadurch gerechtfertigt gewesen, dass sie auf eine Terrorzelle des Islamischen Dschihad abziele, die in Dschenin aktiv sei.

Die Razzia löste auch andernorts Zusammenstöße aus, bei denen israelische Streitkräfte einen 22-Jährigen in al-Ram, einer palästinensischen Stadt nördlich von Jerusalem, töteten. Bei der Beerdigung in al-Ram trugen zahlreiche Palästinenser den Leichnam des jungen Mannes in die Höhe und schwenkten die Fahnen sowohl der Fatah, der Partei, die die Palästinensische Autonomiebehörde kontrolliert, als auch der militanten Hamas, wie AP berichtet. Zwei weitere Palästinenser waren am Vortag bei Kämpfen getötet worden.

Der Überfall veranlasste die Palästinensische Autonomiebehörde, die Sicherheitskoordinierung, also die Beziehungen ihrer Sicherheitskräfte zu Israel im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen zur Eindämmung militanter Islamisten, einzustellen, und rief im Außenministerium "tiefe Besorgnis" hervor.

"Die Sicherheitskoordinierung mit der Besatzungsregierung wird ab sofort eingestellt", erklärte der stellvertretende Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Nabil Abu Rudeineh, und fügte hinzu, die Entscheidung sei angesichts der wiederholten Aggression "gegen unser Volk und der Untergrabung unterzeichneter Vereinbarungen getroffen worden, die sich auf die Verpflichtungen aus dem Osloer Friedensprozess in den 1990er Jahren beziehen".

In den lokalen Medien zirkulierende Videoclips zeigten die Folgen des Angriffs auf das Flüchtlingslager, wobei Bewohner zu sehen waren, die sich durch Schutt und ausgebrannte Gebäude in Dschenin wühlten. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Associated Press war dies der tödlichste Angriff im Westjordanland seit über zwei Jahrzehnten.

Der von der rechtsextremen israelischen Regierung eingeschlagene Weg setzt zur Lösung der durch Gewalt hervorgerufenen Probleme offenbar auf Gewalt. Verteidigungsminister Yoav Gallant erklärte, das Militär habe den militanten Palästinensern in Gaza einen "harten Schlag" versetzt, und sagte, die Armee bereite sich darauf vor, "hochwertige Ziele anzugreifen (...) bis der Frieden für die Bürger Israels wiederhergestellt ist”.

Almog Cohen, ein israelischer Abgeordneter, hetzte nach dem Blutbald in Dschenin auf Twitter:

"Tötet sie weiter!"

In dem zwischenzeitlich gelöschten Tweet habe er laut einem Bericht der Zeitung Haaretz die Soldaten gelobt, die bei der tödlichen Razzia "gute Arbeit" geleistet hätten. Später gab Cohen an, er habe sich auf Terroristen und nicht auf Unbeteiligte bezogen. Am frühen Freitagmorgen verlangte Cohen auf Twitter, dass "die Reaktion auf die Hamas nach dem Raketenbeschuss der südlichen Städte unverhältnismäßig sein wird".

Die israelische Regierung behauptet, die Razzien zielten darauf ab, militante Netzwerke zu zerschlagen und Anschläge zu vereiteln. Aus der Sicht der Palästinenser festigen diese Angriffe Israels 55-jährige, unbefristete Besetzung des Westjordanlands, das Israel zusammen mit Ostjerusalem und dem Gazastreifen im Nahostkrieg von 1967 erobert hat. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete für ihren erhofften Staat.

Israel hat im Westjordanland Dutzende von Siedlungen errichtet, in denen inzwischen 500.000 Menschen leben. Die Palästinenser und ein Großteil der internationalen Gemeinschaft betrachten die Siedlungen als illegal und als Hindernis für den Frieden, auch wenn die Gespräche zur Beendigung des Konflikts seit über einem Jahrzehnt ins Stocken geraten sind. Im Sommer hatte die israelische Armee einen großangelegten Militäreinsatz begonnen. Diese ließen daraufhin Raketen vom Gazastreifen aus auf israelische Ortschaften abfeuern. Nach dreitägigen Kämpfen wurde eine Waffenruhe vereinbart. Im Gazastreifen waren bis dahin bereits 49 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte das von der israelischen Armee veranstaltete Blutbad vor dem Hintergrund der weiteren andauernden Maßnahmen gegen Palästinenser. Laut der Organisation ist das Blutvergießen auch das Resultat der Untätigkeit anderer Staaten. Philip Luther, Direktor für Forschung und Advocacy im Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International, wies darauf hin, dass das Flüchtlingslager im nördlichen Westjordanland Ziel nicht erst seit dieser Woche zum Ziel von "unerbittlichen" israelischen Militärangriffen und "eskalierendem Vorgehen” geworden ist und die andauernden Menschenrechtsverletzungen deshalb geschehen könne, weil Israel mit Straffreiheit durch die meisten anderen Staaten agiere.

Einige arabische Golfstaaten übten scharfe Kritik an der Militäraktion. Anwar Gargash, ein hochrangiger Diplomat in den Vereinigten Arabischen Emiraten, warnte am Freitag, die israelische Eskalation in Dschenin sei gefährlich und beunruhigend und untergrabe die internationalen Bemühungen, die Priorität der Friedensagenda voranzutreiben. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben Israel im Jahr 2020 anerkannt, ebenso wie Bahrain, das sich zu dem Anstieg der Gewalt jedoch nicht geäußert hat.

Die Spannungen haben zugenommen, seit Israel nach einer Reihe palästinensischer Anschläge im Frühjahr dieses Jahres seine Razzien im Westjordanland verstärkt hat. Im vergangenen Jahr wurden allein im Westjordanland und im Osten Jerusalems fast 150 Palästinenser getötet. Nach Angaben der führenden israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem war das Jahr 2022 das tödlichste in diesen Gebieten seit 2004. Nach einer Zählung von The Associated Press und anderer Medien wurden im 27 Tage jungen Jahr 2023 schon 30 Palästinenser getötet.

Anfang der kommenden Woche wird US-Außenminister Antony Blinken zu einem Besuch in der Region erwartet. CIA-Direktor William Burns ist am Donnerstag in Israel eingetroffen, um den für Montag geplanten Besuch des US-Außenministers vorzubereiten. Burns wird amerikanischen Quellen zufolge mit Beamten in Jerusalem und Ramallah zusammentreffen.

Blinken wird am Montag zunächst in Israel eintreffen und ins Westjordanland reisen, um sich mit israelischen und palästinensischen Führern zu treffen und die amerikanische Unterstützung für eine Zweistaatenlösung sowie die Sicherheit Israels zu bekräftigen, so der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price.

Letzte Woche besuchte der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, Israel und traf sich mit Premierminister Benjamin Netanjahu, wie Hareetz berichtet. Demnach ging es dabei um über gemeinsame Anstrengungen zur Beendigung des iranischen Atomprogramms und der iranischen Aktivitäten im Nahen Osten sowie um eine Antwort Israels auf das Ersuchen unter anderem der Palästinenser um ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zu israelischen Kriegsverbrechen zu sprechen, woraufhin die israelische Regierung mehrere Vergeltungsmaßnahmen gegen die palästinensische Behörde ergriff.

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