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Führungswechsel in EU und NATO – Osteuropäer auf dem Sprung?

Tallinn ist der Meinung, es bedürfe eines Vertreters Osteuropas in der Führung von EU und NATO. Die Chancen der "jungen Europäer" für diese Posten liegen beinahe bei 100 Prozent. Aber welche Politiker könnten die EU und die NATO führen?
Führungswechsel in EU und NATO – Osteuropäer auf dem Sprung?Quelle: Legion-media.ru © 3D Generator

Von Aljona Sadoroschnaja und Jewgeni Posdnjakow

Die Osteuropäer wollen die Macht in der EU und der NATO

Das Staatsoberhaupt von Estland, Kaja Kallas, hat erklärt, dass ein Vertreter der osteuropäischen Länder einen der Führungsposten in der EU oder der NATO besetzen sollte. Ihrer Meinung nach hätten sich die Länder der Region "bewährt", was sie würdig mache, diese höchsten Posten zu bekleiden.

Im November letzten Jahres war Kaja Kallas als eine mögliche Kandidatin für den Posten des NATO-Generalsekretärs im Falle eines Abgangs von Jens Stoltenberg geführt worden. Darüber schrieb die New York Times. Als weitere Kandidatinnen wurden die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová und die ehemalige kroatische Staatschefin Kolinda Grabar-Kitarović genannt. Zudem wurde von britischer Seite der Verteidigungsminister des Landes, Ben Wallace, für den Posten in Betracht gezogen.

Allerdings ist man in Washington der Meinung, dass Kanadas stellvertretende Premier- und Finanzministerin, Chrystia Freeland, die vielversprechendste Kandidatin ist: Sie beherrscht mehrere Sprachen, darunter Russisch und Ukrainisch, hat Erfahrung in der Durchführung von Pressekonferenzen und öffentlichen Reden, und auch in der Führung "komplexer Ämter".

Stoltenberg hätte eigentlich am 1. Oktober 2022 abtreten sollen, doch bei einem Gipfeltreffen im März letzten Jahres beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Bündnispartner, sein Mandat bis zum 30. September 2023 zu verlängern. Wie berichtet wurde, gibt es in der NATO einen stillschweigenden Konsens darüber, dass der nächste Generalsekretär der Allianz eine Frau sein sollte – eine Vertreterin der neuen Mitgliedsstaaten der Organisation.

Die Expertengemeinschaft zeigt sich zuversichtlich, dass Vertreter Osteuropas alle Chancen haben, die Führungspositionen zu besetzen. Und die Vereinigten Staaten sind daran am meisten interessiert. "Die osteuropäischen Länder sind Repräsentanten der US-Interessen auf dem Kontinent. Das Vertrauen Washingtons gegenüber Paris und Berlin ist durch deren Versuche, die Dinge auf eigene Faust zu regeln, untergraben worden. Die USA haben viel zu hohe Kosten für die Kontrolle", meint Timofei Bordatschow, Programmdirektor des Waldai-Clubs.

"Osteuropa ist eine andere Sache. Polen, die baltischen Staaten, die Tschechische Republik und andere Länder sind den USA gegenüber äußerst loyal und bereit, alle Bestrebungen des 'großen Bruders' zu unterstützen. Ihre bedingungslose Ergebenheit gegenüber den Amerikanern macht diese Staaten zu einer guten 'Personalressource' für Kaderpositionen in Organisationen der westlichen Welt", betont der Experte. Und weiter:

"Im Grunde genommen könnte der Posten des NATO-Generalsekretärs von jeder Person aus irgendeinem osteuropäischen Land besetzt werden. Die baltischen Staaten haben jedoch etwas bessere Chancen: Estland, Litauen und Lettland sind kleine Staaten, die ihrer nationalen Identität beraubt sind. Sie werden mit Washington keinen Streit anfangen."

"Was die Estin Kaja Kallas betrifft, so hat sie alle Chancen, den Posten des NATO-Generalsekretärs zu übernehmen. Wir müssen aber bedenken, dass die Konkurrenz groß sein wird. Und außerdem ist Kallas gegenüber Stoltenberg im Nachteil, was die persönlichen Qualitäten betrifft – sie liegt generell unter der erforderlichen Messlatte. Sollten sich die Vereinigten Staaten für die 'Holzhammermethode' entscheiden, so ist sie ideal geeignet. Sollten sie einen anderen Weg einschlagen, so wird sich ein akzeptablerer Kandidat finden", resümiert Bordatschow. Dieser Ansicht ist auch der deutsche Politikwissenschaftler Alexander Rahr:

"Die osteuropäischen Länder sind durchaus in der Lage, führende Positionen in westlichen Organisationen zu beanspruchen. Seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU ist der Status von Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik und Rumänien stark gestiegen. Inzwischen bestimmen sie die Politik dieser Region stärker als Portugal oder Belgien", erklärte Rahr gegenüber der Zeitung Wsgljad. Und er fügte hinzu:

"Das Einflussniveau der sogenannten 'jungen Europäer' ist inzwischen unglaublich hoch. Man erinnere sich an den Polen Donald Tusk und den Tschechen Štefan Füle. Der erste war Präsident des Europäischen Rates und der zweite EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik. Das sind gewichtige Posten."  

"Des Weiteren haben die osteuropäischen Länder einen starken Hang zu den USA und Großbritannien. Diese beiden Länder betrachten sie als ihre Schützlinge im Falle einer Konfrontation mit Russland. Daraus resultiert ein Großteil ihrer bedingungslosen Loyalität. Es wäre für die Vereinigten Staaten nur vorteilhaft, eine Person aus dieser Region an die Spitze zu setzen", unterstreicht der Politikwissenschaftler.

"Somit darf die amtierende estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas durchaus Anspruch auf den Posten des NATO-Generalsekretärs erheben. Mehr denn je richten sich die Aktivitäten der NATO gegen Moskau. Daher wäre es nur logisch, einen Vertreter desjenigen Landes in dieses Amt zu berufen, der 'persönliche Rechnungen' mit Russland zu begleichen hat. Würde ein Osteuropäer eine Führungsposition in der NATO oder der EU einnehmen, so käme es zu einer Verschärfung der Beziehungen zwischen dem Westen und Moskau", so Rahr abschließend.

Zuerst erschienen bei WsgljadÜbersetzt aus dem Russischen.

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