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Podoljakas Wochenübersicht: Kiew probiert Gegenangriffs-Taktik bei Awdejewka und verliert Artillerie

Der Militärexperte Juri Podoljaka analysiert die Lage an drei zurzeit wichtigen Brennpunkten des Donbass, beleuchtet aber auch die Kämpfe an anderen Frontabschnitten. Noch verhindert die Schlammperiode größere Operationen, doch Vorbereitungen darauf finden auf beiden Seiten statt.

Russlands Taktik bei Awdejewka am Frontabschnitt Donbass, bei der die vordersten Stellungen der ukrainischen Truppen immer wieder mit Luftbomben und Artillerie intensiv bearbeitet werden, wonach die russische Infanterie in kurzen, schnellen Angriffen vorrückt, die Umgebung dieser Stellungen vom Gegner säubert und sich dort verschanzt, versucht das ukrainische Militär zu kontern: Es hielt sich dort in der Woche vom 24. bis zum 30. April 2023 nicht mehr so sehr an seinen vordersten Stellungen fest, sondern startet nach der russischen Artillerievorbereitung Gegenangriffe.

Und damit konnten Kiews Truppen zwar stellenweise kleinere Erfolge verbuchen, doch auf lange Sicht verschleißen sie damit ihre Artilleriereserven: Die ukrainische Infanterie braucht bei diesen Gegenangriffen Unterstützung von Artillerieeinheiten, die sie damit aber Russlands Angriffen mit Kamikaze-Drohnen aussetzt – und die ukrainischen Artilleriereserven sind alles andere als unendlich, merkt der Militärbeobachter Juri Podoljaka an. Und selbst damit konnte Kiew das Vorrücken der russischen Truppen zur Umkreisung von Awdejewka insgesamt lediglich ein wenig ausbremsen, aber keineswegs aufhalten.

Die Lage in Artjomowsk

In Artjomowsk am selben Frontabschnitt wurden derweil die letzten unter Kiews notdürftiger Kontrolle verbleibenden befestigten Räume weitestgehend voneinander abgetrennt – es deutet sich ein physischer Kessel innerhalb eines operativen Kessels an.

Podoljaka gibt bei seiner Beschreibung der Lage in Artjomowsk auch Schwierigkeiten auf russischer Seite zu:

"Hier sind Wagner-Sturmtrupps in der nun vergangenen Woche trotz ernsthaften Widerstands des Gegners und ernsten Problemen mit der Munitionsversorgung, die zumindest Jewgeni Prigoschin, Gründer des russischen privaten Militärdienstleisters Wagner, beklagt, recht schnell in der Stadt vorgerückt. Sie haben bereits die Kontrolle über einen großen Teil des Stadtgebiets übernommen."

Die ukrainischen Truppen konzentrierten sich nur noch in drei Regionen der Stadt, wie Podoljaka betont. Ihre Lage werde zunehmend kritischer:

"Die Zufahrtsstraßen (...) aus deren Hinterland werden also bereits in Sichtlinie liegen, und gegnerische Fahrzeuge dort können somit mit Panzerabwehrraketen ausgeschaltet werden.

Aber ich betone: Der Gegner leistet verzweifelten Widerstand. Er stützt sich auf sehr ernstzunehmende Befestigungen. Dieser Teil der Stadt liegt auf dominanten Anhöhen, und außerdem stehen dort Hochhäuser."

Zerstörte Stadt Ugledar

Deutlich intensiviert haben sich die Gefechte um Ugledar sowie in und um Marjinka im Süden des Frontabschnitts Donbass, hält Podoljaka fest. Und obwohl Marjinka nahezu ausgelöscht ist, halten sich die ukrainischen Truppen verbissen an den westlichen Vierteln dieser Stadt fest: Denn ist Marjinka einmal befreit, fällt Russlands Militär damit unmittelbar ins Hinterland der Gruppierung des Gegners in Ugledar ein. Und zumal Ugledar in den letzten Wochen stark mit Bomben- und Artillerieangriffen ausgesetzt war, sei davon auszugehen, dass Ugledar und Marjinka nach Ende der Schlammsaison wieder zu einem wichtigen Brennpunkt avancieren werden: Hier werden Russlands Truppen versuchen, den ukrainischen Streitkräften im Süden der Front die Initiative streitig zu machen, prognostiziert der Journalist.

"Der nächste wichtige Brennpunkt ist Ugledar am südlichen Ende des Fronstabschnittes Donbass. Hier eskalierten die Kämpfe in der nun vergangenen Woche allmählich. Dies ist eine Folge der russischen Offensive in Marjinka und Umgebung. Dort sind die russischen Truppen in die westlichen Viertel dieser Stadt vorgedrungen, die bereits im Wesentlichen ausgelöscht ist. Dennoch lodern selbst um die Ruinen dieser Stadt heftige Gefechte, denn die Bedeutung von Marjinka kann kaum überschätzt werden."

Außerdem führte Russland massive Langstreckenangriffe mit Lenkflugkörpern entlang der ganzen Front: Deren Ziel sei diesmal nicht die Infrastruktur der Ukraine, sondern Truppenaufmarsch- und Konzentrationsgebiete nebst Munitions-, Treib- und Schmierstoffdepots.

In der Stadt Pawlograd, einem wichtigen logistischen Knoten im Gebiet Dnjepropetrowsk am westlichen Ufer der Dnjepr, ist infolge dieser Angriffe eine große Menge Material zur Explosion gebracht beziehungsweise in Brand gesetzt worden.

Damit soll die drohende ukrainische Offensive, für die Kiew die besagten Reserven anlegt, von vornherein torpediert werden.

Podoljaka ist ein ukrainischer politischer Blogger (auf Youtube hatte sein Kanal vor der Löschung durch die Verwaltung der Plattform 2,6 Millionen Abonnenten) und Journalist aus Sumy (er wohnt seit dem Jahr 2014 im russischen Sewastopol), dessen Einsichten im Zeitraum um den Beginn der Intervention in den russischen Medien zunehmend gefragter wurden. Seine Analyseausgaben warten mit nur wenigen Zahlen auf – dafür vermittelt er durch Arbeit mit Karten aber ein gutes Verständnis vom räumlichen Umfang der jeweiligen Entwicklungen und bietet dann und wann kurzfristige Prognosen.

An Quellen bemüht Podoljaka einerseits offen zugängliche Daten: Meldungen von Augenzeugen in den sozialen Medien sowie Meldungen des russischen, aber auch des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Andererseits gibt er Insiderquellen an: Neben solchen in den Volksmilizen und Sicherheitsorganen der russischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk seien dies solche in den ukrainischen Sicherheits- und Regierungsbehörden, die er aufgrund alter Beziehungen aus der Zeit als ukrainischer Journalist noch zu unterhalten erklärt. Um es im aktuellen Jargon der Aufklärungsdienste auszudrücken, ist Podoljaka also vornehmlich ein OSINT-Analyst.

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