Europa

Quo vadis Slowakei? Gefährliche Abhängigkeiten und wachsende Spannungen

Die Slowakei befindet sich in einer Phase der "stabilen Instabilität". Die Unterschiede im Entwicklungsniveau zwischen der Ost- und der Westslowakei sind gravierend. Es wächst der Nährboden für das Anwachsen landesweiter Auseinandersetzungen und die Zunahme von Nationalismus.
Quo vadis Slowakei? Gefährliche Abhängigkeiten und wachsende SpannungenQuelle: Reuters © David W Cerny/Reuters

von Prof. Dr. Anton Latzo

Die Slowakei ist ein Ergebnis der Zerschlagung einer europäischen Staatlichkeit, der Tschechoslowakei, nach der Niederlage des Sozialismus in Europa. Sie wurde 1992 unter maßgeblicher Beteiligung von Vladimír Mečiar und seiner Nationalpartei (SNS) gegründet, der sich und seine damalige Bewegung als Verteidiger der sozialen und nationalen Interessen der Slowakei besonders im Verhältnis zu Tschechien präsentierte. Für die EU und die NATO, deren Mitglied sie seit 2004 ist (seit 2009 in der Eurozone), ist das Territorium der Slowakei ein wichtiger strategischer Raum in Mitteleuropa und ein Kettenglied im "Cordon sanitaire" vom Baltikum bis ins Schwarze Meer.

Zur aktuellen politischen Lage                                               

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen, die Ende Februar in der Slowakei stattgefunden haben, sind ein Spiegelbild der Verhältnisse in diesem Land nach fast drei Jahrzehnten Selbständigkeit. Die sozialdemokratische Smer-SD, die seit 2006 führend an der Regierung des Landes beteiligt war und damals die Mečiar-Periode beendete, erlitt ihrerseits 2020 mit 18 Prozent Zustimmung eine Niederlage und ist jetzt zweitstärkste Partei. Ihre bisherigen Koalitionspartner blieben sogar außerhalb des Parlaments. Dabei ist die Nationalpartei (SNS) von Mečiar, dem Gründer des slowakischen Staates 1992, sogar aus dem Parlament ausgeschieden. Mit ihr auch die Partei der ungarischen Minderheit.

Das zeugt von einer breiten Enttäuschung über die bisherige Entwicklung des Landes und über die Politik der regierenden Parteien, die für einen wachsenden Teil der Bevölkerung charakteristisch ist. Die Wahlen haben die politische Landschaft drastisch verändert. Die Ergebnisse sind auch eine Bestätigung einer "stabilen Instabilität". Aber erst die Praxis wird zeigen, wohin die Reise tatsächlich geht. Die OĽaNO-Partei des früheren Medienunternehmers Igor Matovič hat jedenfalls eine stabile Verfassungsmehrheit im Parlament.

Die Entwicklungsrichtung wird dadurch angezeigt, dass die sogenannte "Bewegung der gewöhnlichen Menschen und unabhängigen Persönlichkeiten" (OĽaNO) Wahlsieger geworden ist. OĽaNO sieht sich selbst nicht als Partei im eigentlichen Sinne. Sie charakterisiert sich als Wahlplattform für verschiedene Kräfte, ohne einheitliches Programm. Sie hat 45 eingeschriebene Mitglieder, davon zehn Vorstandsmitglieder.        

Tatsächlich ist sie eine eklektische Ansammlung von Persönlichkeiten, die zur Begründung ihrer politischen Positionen Elemente verschiedenartiger politischer, ökonomischer und geistig-kultureller Anschauungen und Prinzipien des Materialismus und Idealismus willkürlich zusammensetzt und benutzt, indem sie diese einzelnen Elemente, je nach Situation, verabsolutiert. Es steht die Frage im Raum, wie auf dieser Grundlage eine konstante und berechenbare Politik über mehrere Jahre gestaltet werden soll?!                                                                                       

Während der Wahlkampagne ist die OĽaNO beispielsweise mit Losungen aufgetreten, die lauteten: Ehrlich, mutig für Menschen; ehrliches und gerechtes Land; die Slowakei gehört allen Bürgern, nicht der Korruption, den Spekulanten und Mafiosi. Und wenn wir uns richtig um sie kümmern, werden unsere Kinder nicht mehr weglaufen, und viele von denen, die gegangen sind, werden zurückkehren, erklärte der Medienunternehmer den Wählern. Die OĽaNO wolle einen "Staat, der dient und schützt", und eine Wirtschaft entwickeln, die "nicht nur uns heute, sondern Generationen unserer Kinder genügend Arbeit und ein gutes Einkommen sichert". Um das zu erreichen, müsse die Korruption beseitigt werden. Und das "krönte" man mit der Aussage, man sei eine "Antikorruptionspartei".

Dies spiegelt eine Gesellschaft wider, die fragmentiert und konzeptionslos ist. Es geht nicht mehr um alternative und geschlossene Gesellschafts- und Politikkonzepte. Es wurden politische Kräfte gewählt, die nicht politische Ziele und Inhalte zur Abstimmung unterbreiten, sondern Menschen mit Demagogie, mit verlockenden Versprechungen zu täuschen versuchen. Und wie man sieht, gelingt es. Zumindest zeitweilig!  

Die Slowakei ist einem Prozess der geistigen Manipulierung unterworfen, ganz im Sinne des Konzepts der "offenen Gesellschaft", die von den Soros-Stiftungen und NGOs unter anderem als in- und ausländische Instrumente der "Zivilgesellschaft" nicht nur in der Slowakei, sondern in ganz Osteuropa vertreten werden. Dieser Zustand hat natürlich auch innere Ursachen. Er wird aber aus dem Ausland zielgerichtet beeinflusst und gestaltet. Die jetzt von Budapest nach Berlin umgezogene Zentrale der Soros-Unternehmen spielt dabei eine wichtige und koordinierende Rolle.

Gefährliche Abhängigkeiten                                                   

Die meisten Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Slowakei verzeichnen eine fallende Tendenz. Sie sind aber in den letzten Jahren noch immer mit einem Plus versehen. Das hochgradig offene und exportorientierte Land hängt aber sehr stark von der Entwicklung bei seinen Handelspartnern in der EU und ganz besonders in Deutschland ab.                                                

Deutschland ist der größte Handelspartner. Die Slowakei exportiert 21,9 Prozent seiner Produkte nach Deutschland und importiert von dort 20,2 seiner Einfuhren. Es folgt Tschechien mit 11,9 Prozent beim Export und 16,9 Prozent beim slowakischen Import. Die bevorstehenden Umbrüche, die für die nächsten Jahre in der Wirtschaft der EU-Mächte zu erwarten sind, werden auch in der slowakischen Wirtschaft ihren Niederschlag finden.                                                                                          

Im Jahre 2019 haben die Investitionen im privaten Bereich (Fahrzeugbau und Bauen) noch um 2,7 Prozent zugenommen. Der Staat ist aber unter seiner Investitionsleistung vom Jahr davor geblieben. Für 2020 erwartet die Staatsbank der Slowakei ein weiteres Abflachen der Investitionen. Das BIP-Wachstum ist ebenfalls von 4,0 Prozent im Jahre 2017 auf 2,2 Prozent im Jahre 2019 zurückgegangen. Die gleiche Tendenz ist im Bereich der Anlageninvestitionen und im Außenhandel zu verzeichnen. Die Slowakei ist jetzt schon zumindest mit einer Verlangsamung des Wachstums konfrontiert, die sich entsprechend slowakischen Berechnungen verstärken wird!                                        

Hinzu kommt, dass in der Slowakei, wie in allen osteuropäischen Ländern, die während der Zeit vor 1990 ausgebildeten hochqualifizierten und billigen Fachkräfte immer weniger werden. Damit schwindet aber ein wichtiger Vorteil auf slowakischer Seite und ein Anreiz für ausländische Investitionen in die produktiven Bereiche des Landes.           

Und schließlich besitzt die slowakische Wirtschaft eine sehr einseitige Wirtschaftsstruktur. Die Abhängigkeit der slowakischen Wirtschaft von einem einzigen Sektor, der Autoindustrie, ist außerordentlich groß. In keinem anderen Land der Welt werden pro Kopf so viele Fahrzeuge hergestellt wie in dem 5-Millionen-Einwohner-Land Slowakei. Im letzten Jahr waren es 198 Autos. Mehr als ein Viertel des gesamten Exports des Landes machen die Autos aus. Und die Probleme, die auf die Autoindustrie zukommen, die sind allerorts bekannt.

Andererseits sind durch das Eindringen des ausländischen Kapitals dem slowakischen Staat die Hände gebunden, denn Zukunftsentscheidungen bei Investitionen, ihre Höhe und Struktur bestimmt nicht der Staat, sondern die ausländischen Monopole. Eine Diversifizierung im Sinne der nationalen Interessen des Landes ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Bestimmend sind die Aussichten der Konzerne auf Profit und seine Maximierung. Und in der Slowakei ist nicht nur Volkswagen bestimmend. In der Zwischenzeit produziert Volkswagen in Bratislava, Peugeot PSA in Trnava, Kia in Žilina und seit 2018 Jaguar Land Rover in Nitra.

Die Wirtschaftsstruktur der Slowakei ist sehr einseitig geworden. In schwierigen Zeiten ist die gesamte Wirtschaft, die Gesellschaft und Politik dem Interesse von einigen Monopolen unterworfen. Es wird deutlich, dass die viel gepriesene "Globalisierung" zwar grenzüberschreitende Kapitalflüsse ermöglicht, aber schwache Regierungen und eine vollständige Deregulierung nicht nur der Kapitalmärkte, sondern auch der Realwirtschaft und der Gesellschaft hervorbringt und die Unkontrollierbarkeit der Politik zur Folge hat. Mit diesen Gefahren ist die Slowakei zunehmend konfrontiert.

Unter diesen Bedingungen sind auch andere Widersprüche in der Gesellschaft der Slowakei relevant. Dazu gehört auf jeden Fall der Widersprüche produzierende Unterschied im Entwicklungsniveau zwischen der Ost- und der Westslowakei. Seine Lösung ist aber geradezu eine Voraussetzung um das Nationalitätenproblem, darunter auch die Frage der Roma zu lösen.                                                             

Auf der Grundlage des Weiterbestehens dieser Widersprüche aus dem unterschiedlichen Entwicklungsniveau entsteht auch günstiger Nährboden für das Anwachsen von landesweiten Auseinandersetzungen, die eine Zunahme von Nationalismus zur Folge haben. Es entsteht eine Spirale der zerstörerischen Gewalt in Politik und Gesellschaft, die von einer Bewegung von Persönlichkeiten gegen Korruption (OĽaNO) nicht gelöst werden kann.

Es ist also nicht die nationale Frage an sich, die Widersprüche in der Politik entstehen lässt, sondern die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse unter den Bedingungen der Herrschaft des Kapitals schaffen solche Bedingungen, die eine konfliktreiche Zuspitzung der Frage bewirken und ihre Lösung nicht möglich machen.

Internationale Stellung 

In Zusammenhang mit den Aktivitäten zur Regierungsbildung erklärte der neue Premier, dass OĽaNO eine EU- und NATO-freundliche Partei sei. Weitere Aussagen, die diese generelle Feststellung präzisieren könnten, gibt es leider nicht. Es kann aber ein wichtiger Hinweis sein, dass der neue Außenminister noch vor seiner Vereidigung in den USA weilte und (wegen Quarantäne) an der Einsetzung der neuen Regierung nicht teilnehmen konnte!

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